Kalte Freundschaft
außerdem Cremetiegel, Pinsel, Lippenstifte und ein offener Schmuckkasten. Warum betreibt sie nur solchen Aufwand um ihr Aussehen? Ungeschminkt ist sie doch am schönsten!
Der Kleiderschrank nimmt eine ganze Wand ein, ist aber - wie erwartet - kaum groß genug für ihre vielen Sachen. Röcke, Kleider und Hosen hängen dicht an dicht auf Bügeln, daneben, in den Fächern, liegen Pullis und T-Shirts in allen Farben.
Ich nehme ein T-Shirt und vergrabe das Gesicht darin. Es riecht nach Weichspüler … schade.
Aber was ich eigentlich suche, ist nicht hier. Ich muss mich sputen, mir Marielles Zimmer vornehmen.
Ich bin schon auf der Schwelle, als unten die Haustür geht. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Die Tür fällt ins Schloss, jemand wirft einen Schlüssel auf das Garderobenschränkchen und geht ins Wohnzimmer.
Fast schon panisch sehe ich mich in dem reichlich chaotischen Zimmer um. Mein Blick bleibt am
Schreibtisch hängen, erfasst ein Kabel, das unter Zeitschriften und Schulbüchern hervorhängt.
Ich schnappe mir die Videokamera und will gerade den Film löschen, als unten im Flur Schritte erklingen.
Auf Zehenspitzen schleiche ich zur Treppe, spähe hinab und erhasche einen Blick auf Marielles roten Pulli.
Verdammt, was tut sie hier? Sie wollte doch bei ihren Großeltern essen!
Zu meinem Entsetzen geht sie zur Treppe.
Mit der Videokamera in der Hand schlüpfe ich in Nadines Zimmer und verstecke mich hinter der halb offenen Tür. Durch die Ritze zwischen Türangeln und Wand sehe ich Marielle mit einem Glas Cola in ihr Zimmer gehen.
Sie steht vor ihrem Schreibtisch, mit dem Rücken zu mir.
Unendlich vorsichtig schleiche ich den Flur entlang und die Treppe hinab. Auf halbem Weg knarrt eine Stufe.
»Mam?«, klingt es von oben. »Mam, bist du das?« Ich haste die letzten Stufen hinab und eile zur Haustür.
Schritte im oberen Flur, dann Marielles Stimme: »Ist da wer?«
Sie klingt ein wenig ängstlich.
Als sie die Treppe herabkommt, habe ich bereits die Haustür geöffnet und leise wieder hinter mir geschlossen.
Ich renne zur Hecke am Nachbarhaus und verstecke mich dahinter. Aber Marielle kommt nicht hinaus.
Sicherheitshalber warte ich noch eine Viertelstunde, dann laufe ich geduckt im Schutz der Dunkelheit bis ans Ende der Straße.
33
»Mam …« Marielles Stimme klingt zögernd. »Ich muss dir was sagen.«
Nadine war so in Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckt, als Marielle plötzlich neben ihr steht.
Forschend sieht sie ihre Tochter an, die an der Arbeitsplatte lehnt und ihrem Blick ausweicht. Genau so hat sie immer als kleines Mädchen ausgesehen, wenn es etwas zu beichten gab.
»Worum geht’s?«, fragt sie leicht beunruhigt.
»Die Videokamera ist weg.«
Zunächst überwiegt die Erleichterung: Sie hat sich nicht wieder mit Ruben eingelassen, ist nicht schwanger oder drogensüchtig.
»Was soll das heißen: Die Kamera ist weg? Sie kann doch nicht einfach verschwinden.«
»Ich hatte sie auf meinen Schreibtisch gelegt, aber da ist sie nicht mehr.«
»Wann hast du sie das letzte Mal benutzt?«, fragt Nadine, nunmehr ärgerlich über Marielles Schlamperei.
»Gestern. Und anschließend hab ich sie mit nach oben genommen. Ich versteh das einfach nicht.«
»Ich auch nicht. Überleg noch mal, wo sie sein könnte. Hast du sie vielleicht mit zu Renate genommen?«
Keine Reaktion.
Nadine mustert Marielle, die irgendwie bedrückt wirkt.
»Da war noch so was Komisches«, sagt sie leise.
Alarmiert legt Nadine das Kartoffelmesser weg. »Was?«
»Ich hab gestern Geräusche im Haus gehört.«
»Wann?«
»Abends, als ich früher von Oma und Opa nach Hause gegangen bin. Ich war in meinem Zimmer, als die Haustür ging. Erst glaubte ich, du bist es, deshalb hab ich mir nichts weiter gedacht. Aber später hab ich dann gemerkt, dass du noch gar nicht da warst.«
»Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«
»Weil ich anfangs dachte, ich hätte mich verhört. Aber jetzt, wo die Kamera weg ist …«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand reinspaziert und dann nur die Videokamera mitnimmt. Wie soll derjenige überhaupt ins Haus gekommen sein?« Nadine setzt die Kartoffeln auf und gibt Salz dazu.
»Keine Ahnung. Aber da waren wirklich Geräusche. Und jetzt ist, wie gesagt, die Kamera weg«, beharrt Marielle.
Unschlüssig sieht Nadine ihre Tochter an.
»Räum erst mal dein Zimmer auf«, sagt sie. »Vielleicht taucht die Kamera dabei auf.«
Nadine räumt gerade Wäsche in den
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