Kalte Haut
angesprungen. Aus dem Lautsprecher schallte die Stimme der Kommissarin durch die Diele. »Dr. Babicz? Sind Sie da? Schalten Sie bitte den Fernseher ein. Sofort! n-tv! «
82
Sera wollte schon auflegen, da knackte es in der Leitung.
»Frau Muth?«
»Dr. Babicz, haben Sie meine Nachricht gerade gehört?«
»Ja, ja, warten Sie. Ich muss das Telefon nur hinüber ins …« Seine Worte gingen in einem atmosphärischen Knistern unter.
»Dr. Babicz, sind Sie noch dran?«
»Moment, das Kabel klemmt.«
»Beeilen Sie sich.« Seras Blick war starr auf den Fernseher in der vermüllten Datsche gerichtet. Die TV-Kiste war zwar alt, funktionierte aber tadellos. Sera wünschte sich, sie täte es nicht.
Gesing, der neben ihr stand, war wie gefesselt von dem, was auf dem Bildschirm ablief. »Ist das nicht …?«
»So, jetzt!«, sagte Babicz. »Jetzt bin ich am Fernseher. Um was geht … Oh, verdammt, ich sehe es!«
Dabei war nicht einmal viel zu erkennen. Die gleiche widerwärtige Szenerie wie vor zwei Tagen. Ein düsterer Raum, ein heller Lichtfleck. Der Gestalt, die blutüberströmt auf dem Tisch lag, waren Hände und Füße gefesselt. Ein Knebel verschloss ihren Mund. Trotz des grellen Lichts waren ihre Augen weit aufgerissen.
»Das ist Stanislaw Bodkema«, erklärte Sera dem Psychologen. »Er ist Chefredakteur vom Berliner Kurier .«
»Wann ist er entführt worden?«, fragte Babicz.
»Gestern Abend, irgendwann zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr. Soweit wir das in der Kürze der Zeit in Erfahrung bringen konnten, hat er um neunzehn Uhr mit seiner Tochter gegessen. Um zwanzig Uhr haben die beiden sich voneinander verabschiedet, und Herr Bodkema machte sich auf den Weg zum Flughafen, von wo aus um halb elf sein Flug nach Monte Carlo ging. Allerdings hat er in Tegel nicht eingecheckt.«
»Und in Monaco? Hat ihn dort niemand erwartet? Oder vermisst?«
»Er hat den Termin zuvor abgesagt.«
»Abgesagt?«
»Wahrscheinlich hat man ihn dazu gezwungen«, mutmaßte Sera. »Und seine Familie hat natürlich geglaubt, er sei in Monte Carlo – bis sie bei n-tv den Film sahen.«
»Sera!«, brüllte Blundermann plötzlich aus dem Garten der Datsche. »Komm mal raus!«
Sera winkte ungehalten ab, blickte weiter unverwandt auf den Fernseher. Der Film aus dem Folterraum, der auf dem Nachrichtenkanal in einer Endlosschleife zu laufen schien, war zu einem Quadrat in der oberen Bildschirmecke reduziert worden. Den Großteil des Fernsehbildes nahm jetzt ein Nachrichtensprecher ein, der die Zuschauer darüber in Kenntnis setzte, dass der Folterfilm dem Sender vor wenigen Minuten zugespielt worden sei und dass die schockierenden Bilder außerdem eine klare Parallele zum Mordfall Lahnstein aufweisen würden. Überzeugen Sie sich selbst: Nachfolgend zeigen wir Ihnen noch einmal das Video mit dem Sohn des Innensenators.
»Dr. Babicz, ergibt das einen Sinn?«, wollte Sera wissen.
»Bodkema ist der Chef von Frau Herzberg. Die Verbindung zu ihr ist offenkundig.«
»Aber passt das zu einem Stalker?«
»Sie haben keine Ahnung, wie weit manche Stalker gehen. Haben Sie noch etwas über Frau Herzbergs Ehemann herausfinden können?«
»Sera!«, schrie Blundermann erneut.
Sie schaute zum Fenster hinaus. Ihr Kollege stand gebückt zwischen den Sträuchern. Er fuchtelte so aufgeregt mit den Händen, dass Sera Gesing einen Wink gab, der daraufhin folgsam nach draußen trottete.
»Wir befinden uns gerade in seinem Haus in der Uckermark«, sagte sie.
»Er hat ein Haus dort?«, wunderte sich Babicz.
»Eine alte Datsche, die seinen Großeltern gehörte. Seine Schwester hat es mir gesagt.« Sera berichtete dem Psychologen von den Fotos, den Andenken, dem erschreckenden Kult, den Ralf Herzberg um seine Ehefrau betrieb.
»Sera!« Gesing tauchte am Fenster auf.
»Warten Sie mal kurz, Dr. Babicz.« Sera hielt das iPhone auf Distanz. »Werner, was ist los?«
»Wir haben ein Problem.«
»Ja, das haben wir!« Genervt deutete sie auf den Fernseher.
»Nein, nicht das.« Gesings Finger deutete in den Garten. »Das hier draußen.«
»Dr. Babicz, ich melde mich wieder bei Ihnen.« Sera brach die Verbindung ab und verstaute das Telefon.
Während sie das Wohnzimmer zur Gartentür durchquerte, verfing sich ihr Schuh zwischen den Zeitungen, die auf dem Boden verstreut lagen. Ein Artikel fiel ihr ins Auge, weil er mit gelbem Edding markiert worden war. S-Bahn-Desaster: Wird es noch schlimmer? Von Tania Herzberg. An die zweite, ungleich größere
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