Kalte Haut
Wasser. Mit dem dampfenden Getränk in der Hand kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Gerry hatte sich nicht vom Bett fortbewegt.
»Du hast bestimmt von den beiden Entführungen gehört«, sagte sie. »Der Politikersohn und der Journalist …«
»Ja, man hat sie ermordet.«
»Inzwischen gibt es eine dritte Entführung.«
»Ihr geht also von einem Serienkiller aus? Zumindest ist das der Tenor in den Nachrichten, die … Moment mal!« Gerrys Miene verfinsterte sich schlagartig. »Willst du etwa behaupten, dieser Killer wollte jemanden in meiner Kneipe umbringen?«
»Nein, nicht umbringen. Aber einige der Hinweise, die der Mörder uns hinterlassen hat, deuteten darauf hin, dass wir bei dir eine Leiche finden würden.«
»Offensichtlich waren diese Hinweise falsch.«
»Ja, der Mörder macht sich einen Spaß daraus, mit der Polizei –und mit mir, der Ermittlungsleiterin – zu spielen.«
»Dann sollte ich mir wohl eher Sorgen um dich machen. Bist du in Gefahr?«
»Ich denke nicht.«
»Sicher?«
»Ja.«
Trotzdem wirkte Gerry nicht erleichtert. »Versprich mir, dass du …« Seine Stimme erstarb. »Du sagtest, dieser Killer spielt mit dir? Und eure Spur führte ins Ernie & Bert ?«
Sera schwieg. Sie ließ ihm Zeit, die Erkenntnis zu verarbeiten.
»Woher weiß er von dir und mir?«
»Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen könntest.«
Gerry straffte seinen Körper. »Ich habe mit niemandem über uns gesprochen, falls du das meinst.«
»Ich auch nicht.«
»Vielleicht hat er dich beobachtet.« »Das wäre mir aufgefallen.«
Jetzt stand Gerry auf und ging nach nebenan in die Küche. Bierflaschen klirrten im Kühlschrank, bevor er mit zwei Jever zurückkehrte. Eins stellte er vor Sera ab. »Also glaubst du, dass ich mit jemandem über uns geplaudert habe?«
»Immerhin ging dir die ganze Geheimniskrämerei auf die Nerven.«
»Das heißt aber doch nicht, dass ich das mit uns gleich an die große Glocke hänge.« Er nahm einen langen Schluck und stieß empört auf. »Glaubst du mir etwa nicht?«
Abermals schwappte eine Welle der Erschöpfung über Sera hinweg. Sie atmete ein und wieder aus. Sie wollte diese Diskussion nicht führen. Sie wollte überhaupt keine Diskussionen mehr führen. Sie sank auf die Matratze zurück, schloss die Augen und schwieg. Die Zeit verging.
Ich möchte, dass du vorsichtig bist.
Sera war sich nicht sicher, ob Gerry sprach oder ob sie selbst die Worte dachte. Vielleicht träumte sie sie auch nur.
Berliner Kurier, Montag, 16. April
Nach Mord an Kurier-Chefredakteur tappt Polizei im Dunkeln
Schnappt die Bestie!
Von Harald Sackowitz
Berlin. Liebevoller Familienvater, engagierter Journalist – das war Stanislaw Bodkema, Chefredakteur beim Kurier. Gestern wurde er Opfer der Bestie, die bereits Frank Lahnstein, Sohn des Innensenators Dr. Lothar Lahnstein, auf dem Gewissen hat.
Wie Frank Lahnstein (der Kurier berichtete) wurde auch Stanislaw Bodkema entführt und grausam gefoltert. Erneut tauchte ein Video im Internet auf, bevor die Leiche des Journalisten gefunden wurde. Obwohl die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nach wie vor keine Informationen preisgibt, sind die Parallelen offenkundig.
Stanislaw Bodkema hatte Interviews mit dem Innensenator Dr. Lothar Lahnstein geführt, der sich darin umstritten zum Umgang mit kriminellen, jugendlichen Ausländern äußerte. Seine Familie hatte daraufhin Morddrohungen erhalten.
Die Gewaltverbrechen sind nicht nur ein Akt der Unmenschlichkeit, Anschläge auf Politiker und Journalisten sind auch ein Anschlag auf die Grundfesten der Demokratie.
104
Der jungen Frau in dem Fluss steht das Wasser bis zum Hals. Sie ringt um Atem, schluckt Wasser, würgt. Du kannst ihr nicht helfen. Sie fuchtelt verzweifelt mit den Armen, stemmt sich gegen den reißenden Strom. Gnadenlos zerrt er sie mit sich. Du kommst zu spät. Die Wellen wirbeln sie herum, tauchen sie unter – bis plötzlich ein Arm nach ihr greift.
»Sera!«
Eine Hand rüttelte an ihrer Schulter. Sera kämpfte sich aus ihrem Traum.
»Sera, dein Telefon!«
Ihre Hand glitt unter der Decke hervor, tastete blindlings über die Matratze. Sie bekam nichts zu fassen. Das Handy klingelte weiter.
»Warte, ich hol’s!«
Das plötzliche Licht der Nachttischleuchte blendete Sera. Mühsam blinzelte sie zum Fenster. Draußen war es noch finster. Gerry huschte auf nackten Füßen nach nebenan und kehrte gleich darauf mit dem Telefon aus der Küche zurück.
»Ja?«,
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