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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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es kurz nach fünf Uhr, und ein weiterer Einsatz stand bevor. Und ein weiterer Mord! Es war nur noch eine Frage von Stunden. Nein, von Minuten! Ohne Zweifel gab es geeignetere Situationen für Liebesbezeugungen dieser Art.
    Sie betätigte die Spülung, wusch sich die Hände, richtete sich mit schnellen Handgriffen das kurze Haar. Währenddessen betrachtete sie sich im Spiegel. Blass und abgekämpft sah sie aus. Und hager. Sie hatte abgenommen.
    »Ich dachte, eine Scheidung sei nicht so einfach«, sagte sie, als sie zurück in den Flur trat.
    Gerry stand unverändert im Durchgang zur Küche. »Mir ist klar geworden, dass es mir egal ist, welche Konsequenzen eine Scheidung für mich haben wird. Solange ich mit dir …«
    »Ja, ja, natürlich, und ich mit dir. Aber hast du dir auch mal überlegt, welche Konsequenzen das für mich hat?«
    »Ich dachte, du würdest dich freuen. Endlich klare Verhältnisse. Für deinen Vater. Deine Familie.«
    »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie beschissen das Verhältnis zu meinem Vater, zu meiner ganzen Familie, zurzeit ist? Und was, glaubst du, wird er davon halten, wenn ich jetzt auch noch einen Mann mit zwei Kindern anschleppe?«
    »Aber ich bin bald nicht mehr verheiratet.«
    »Dann bist du halt geschieden.« Sera tastete die Jackentaschen nach ihrem Autoschlüssel ab. »Das macht die Sache auch nicht einfacher.«
    Gerry verzog seine Miene nur unmerklich. »Nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er würde kein Wort mehr mit mir wechseln, und meiner Mutter und meinen Geschwistern würde er verbieten, sich mit mir zu treffen … Von einem Tag auf den anderen würde ich meine ganze Familie verlieren.«
    »Du könntest sie trotzdem treffen.«
    »Ja, heimlich.« Sera lächelte gequält. »Aber was hat sich dann für mich geändert?«
    Betreten holte Gerry einen Pappbecher mit Kaffee aus der Küche. Außerdem hatte er zwei Stullen geschmiert und in Alufolie gewickelt. Er drückte sie ihr in die Hand. »Und jetzt?«
    »Jetzt muss ich los.«

105
    »Schlafen Sie?«, geisterte eine Stimme durch die Dunkelheit.
    Tania erschrak, und der Traum, ein Sammelsurium beängstigender Bilder, entwand sich noch im selben Augenblick ihrem Gedächtnis. Für Sekunden lag sie erleichtert in der Finsternis. Es war alles nur ein Traum. Dann tastete sie um sich, spürte das harte Kissen, die spröde Leinenbettwäsche, die zerknitterte Bluse, die ihr schweißnass am Oberkörper klebte. Es ist wahr.
    Die Tür ging einen schmalen Spaltbreit auf, und in dem hellen Streifen Licht, der vom Flur ins Zimmer fiel, zeichnete sich ein schwarzer Schemen ab.
    »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht wecken.«
    »Und ich wollte nicht schlafen!« Tania schnappte nach Luft.
    Gestern Abend, kurz bevor sie von der Polizei zu einem sicheren Haus geschafft worden war, hatte ein Arzt ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht. Tania hatte sich dagegen gewehrt. Was, wenn Hagen sich meldet? Oder wenn er heimkommt? Der Doktor hatte besänftigend auf sie eingeredet, und irgendwann war die letzte Kraft, die noch in ihr steckte, aufgebraucht gewesen. Die Anstrengungen der vergangenen Wochen, die Panik der letzten Tage, waren zu viel für sie gewesen. Kaum in der Wohnung angekommen war sie eingeschlafen.
    »Ist Hagen …?« Mehr traute sie sich nicht zu fragen.
    Der Beamte an der Tür verneinte.
    War das ein gutes Zeichen? Dass man noch nichts von Hagen gehört hatte? Oder gesehen!
    »Ist alles in Ordnung?«, wollte der Polizist wissen. »Ich habe Sie schreien gehört.«
    Ja, nach Schreien ist mir auch zumute! Tania presste die Lippen aufeinander. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Nichts ist in Ordnung!
    Die Gestalt verließ das Zimmer. Die Tür wurde langsam wieder geschlossen, der Lichtstreifen wurde schmaler und schmaler, bis nichts mehr von ihm übrig war. Tania wurde schlecht. Sie stand auf und eilte zur Toilette. Dort hockte sie eine ganze Weile auf der Kloschüssel, ohne sich übergeben zu müssen. Schließlich kehrte sie zurück auf ihr Zimmer.
    Durch die Dunkelheit ging sie zum Bett, setzte sich auf die Matratze und lauschte den Geräuschen, die von der Straße heraufdrangen. Sie überlegte, wohin man sie gebracht hatte, aber sie konnte sich nicht mehr an den Weg erinnern, den man mit ihr gefahren war.
    Es fiel ihr schwer, sich gegen die Erschöpfung zu wehren, aber sie wollte wach sein, wenn sie Hagen fanden. Du darfst nicht resignieren! Hagen lebt! Er wird heimkehren! Das weißt du!
    Sie knipste das Licht an. Es war so grell,

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