Kalte Haut
habe ich dich auch für den Job vorgeschlagen. Aber als künftige Ressortleiterin«, er sah sie eindringlich an, »darf dir so etwas nicht noch einmal passieren.«
Er griff nach den Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch türmten, und begann darin zu blättern. Für ihn war das Gespräch beendet.
Während Tania Bodkemas Büro verließ und den verstohlenen Blicken ihrer Kollegen auswich – Na? Heute wieder beim Chef Süßholz geraspelt? – , wählte sie auf dem Handy die Nummer ihres Informanten. Sie war sich keineswegs sicher, dass Haindling bereit war, ihr die geforderten Unterlagen zu beschaffen, aber jemand anderes fiel ihr in der Eile nicht ein, und jetzt ging es vor allem um eins: Schnelligkeit. Verdammt, nur der Anrufbeantworter!
»Hallo, Herr Haindling«, sprach sie auf das Band. »Ich bin es noch einmal, Frau Herzberg vom Kurier. Es geht um das Chaos bei der S-Bahn. Ich muss Sie deswegen unbedingt noch einmal sprechen. Bitte rufen Sie mich doch zurück. Danke.«
Dann lenkte sie ihre Gedanken zu Ralf. Bodkema hatte recht. Die ständigen Dispute mit ihrem Noch-Ehemann, seine Nachstellungen, die Bedrohungen, das alles ging nicht spurlos an ihr vorüber. Es belastet dich. In den zurückliegenden Wochen hatte sie alles versucht, doch Ralf wollte einfach nicht kapieren. Allerdings … Seit der unglücklichen Begegnung gestern Abend auf dem Alexanderplatz hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Wir beide werden gar nichts mehr! Nie mehr. Gar – nichts – mehr! Sie wagte kaum zu hoffen: Hatte Ralf endlich begriffen?
»Da bist du ja«, murrte Sackowitz, der vor ihrem Computer hockte. Der Monitor war dunkel.
»Was ist mit meinem Rechner?«, fragte Tania. Nicht auch noch das. »Hast du den jetzt auch kaputt gemacht?«
»Nein, er ist nur noch nicht an.«
»Und warum hast du ihn nicht eingeschaltet?«
»Weil ich nichts kaputt machen wollte.« Ihr Kollege lächelte verlegen. »Bevor ich es vergesse: Gerade eben hat jemand für dich angerufen.«
Zu früh gefreut? »Wer?«
»Auf jeden Fall nicht dein Mann.«
»Wer dann? Hat er sich vorgestellt?«
»Er sagte, er habe wichtige Informationen für dich. In Sachen S-Bahn-Skandal.«
»Und warum hast du mich nicht gleich gerufen?«
»Na ja, du warst beim Chef drin. Da störe ich nur ungern. Aber der Anrufer meinte, er würde sich später noch einmal melden.«
Tania startete erfreut den Computer. Manchmal lösen sich Probleme auch von selbst.
21
»Diese ganze Geheimniskrämerei, die geht mir ganz schön auf den Geist.« Gerry stand im Türrahmen zum Bad und beobachtete Sera, die sich in der Duschwanne abtrocknete.
»Wir waren uns doch von Anfang an einig, wie wir unsere«, sie band das Handtuch um ihre Brust und malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »Beziehung gestalten werden.«
»Ja«, sagte Gerry und schwieg.
Sera hatte ihn eines kalten Herbstnachmittags vor sechs Monaten kennengelernt, nach einem erschreckenden Mordfall in Mitte. Eine vierundsiebzigjährige Rentnerin war von ihrem Enkel wegen zehn Euro Taschengeld erschlagen worden. Im Anschluss an die Tatortbegehung hatte sich Sera mit Gesing und Blundermann in einem Café am benachbarten Hackeschen Markt aufwärmen wollen. Es trug den skurrilen Namen Ernie & Bert , gerade richtig, um sie von dem Schock über die Brutalität des Jungen abzulenken. Gemeinsam hatten sie über den zunehmenden Hang der Berliner zu absurden Kneipennamen wie Hühnchen ohne Abitur , Binh(s) anderen Laden , Das Narkosestübchen oder eben Ernie & Bert gewitzelt.
Irgendwann hatten sich die Kollegen verabschiedet, nur Sera war noch eine Weile geblieben und hatte sich an der lauschigen Atmosphäre, den entspannten Leuten und dem guten Latte macchiato erfreut. Dann war sie von Gerry angesprochen worden. Sein Vater war Ire, seine Mutter Deutsche, er selbst, wie sich später herausstellte, der Besitzer von Ernie & Bert .
Als sie ihn gefragt hatte, woher der Name stammte, hatte Gerry erzählt: »Die Tochter meines Geschäftspartners hat in einem Moment der Unachtsamkeit etwas auf den Pachtvertrag gekritzelt. Als wir sie fragten, was um Himmels willen das darstellen soll, hat sie mit zuckersüßem Lächeln erklärt: Ernie und Bert.«
Anfangs hatte Sera sich gegen sein Flirten zur Wehr gesetzt, aber Gerry war charmant, witzig und unnachgiebig geblieben. Und mit dem rötlich blonden Haar, den unrasierten Wangen, dem muskulösen Nacken, der kleinen Narbe an seiner linken Schläfe direkt unterhalb des
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