Kalte Haut
hinzugefügt hätte: Und das ist auch gut so.
Beim Aufstehen streifte ihr Blick erneut den Kurier-Aufmacher. Schluss machen mit multikultureller Verblendung. »Dir ist hoffentlich bewusst, dass eine Tat wie die von Amiel, das Schweigen seines Vaters und auch dein Verhalten, Onkel, der Kampagne des Innensenators in die Hände spielt?«
»Er wird mit seiner Politik nicht durchkommen!«
»Und was, wenn doch? Was wird mit Alpa passieren?«
Mergim fuhr erbost auf. »Sprich du nicht von Alpa!«
»Hast du einen Gedanken daran verschwendet, was es für Alpa bedeuten könnte?«
Alpa war der Neffe von Mergims Halbbruder und saß in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft warf ihm gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen vor. Sollte der Senator mit seinen Forderungen durchkommen, drohte Alpa die Abschiebung.
»Das werden wir nicht zulassen!«, grollte Mergim.
»Ihr? Mit eurem Verein?« Sera konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Und wie? Indem ihr den Verbrecher deckt? Eher werdet ihr …«
»Willst du mir drohen?« Mergim funkelte sie böse an.
»Nein, nicht ich.« Sie griff nach der Zeitung und hielt sie ihm vors Gesicht. Berliner Innensenator fordert hartes Vorgehen gegen kriminelle Ausländer. »Er.«
Ihr Onkel schlug den Kurier wütend beiseite. » Er weiß nicht, wie es ist, wenn man sein Kind verliert.«
»Darüber kann er sich ja jetzt mit den Eltern von Adile unterhalten. Oder, was meinst du, wäre …«
»Sei still, Seray!«
Sera hatte genug. Genug von Mergims Widersprüchen, seiner Willkür, der Verbohrtheit und Arroganz. Aber das alles war nicht neu. Wütend feuerte sie die Zeitung zurück auf den Schemel.
Sera hatte bereits die Latschen ausgezogen, als ihr noch ein Gedanke kam. Auf Socken kehrte sie zurück in das Wohnzimmer. Ihr Onkel saß unverändert in seinem Sessel.
»Kennst du Osman Alpzoman?«, fragte sie. »Das ist der Großonkel von Adile, dem Mädchen, das …«
»Ich weiß, wer Osman ist. Er ist der Präsident von Aydinlar Kültür ve Dayanısma Dernegi .«
Die Antwort überraschte Sera nicht. Im Gegenteil: Sie macht einiges klarer.
Zurück auf der Straße schenkte sie dem Schawarma-Imbiss an der Ecke zum Kottbusser Damm keine Beachtung mehr. Der Appetit war ihr vergangen.
Berliner Kurier, Freitag, 13. April
Innensenator sieht sich nach Beinahe-Ehrenmord bestätigt:
Türkin von Ehemann niedergestochen!
Von Harald Sackowitz
Berlin. Gestern Mittag stach Amiel G. seine Ehefrau nieder. Der versuchte Ehrenmord an der schönen Adile (24) erschüttert Berlin. Der Täter ist auf der Flucht.
Erstochen vom eigenen Mann. Nur weil sie sich nach einem selbstbestimmten Leben sehnte. »Sie mochte die westliche Lebensart«, sagt eine Bekannte, die mit ihr die Berufsschule besuchte. Aber ihr Leben hatte ein anderes zu sein. Weil sie sich weigerte, sollte sie sterben.
Unterdessen sieht sich Innensenator Dr. Lothar Lahnstein durch den tragischen Vorfall bestätigt: »Bestimmte Verhaltensweisen sind in der Vergangenheit toleriert worden, die inzwischen zu hoch explosiven Gruppen-Aggressionen führen.« Er wiederholt seine Forderung: »Wer sich als Ausländer nicht an unsere Regeln hält, ist hier fehl am Platz!«
Ausländerverbände empören sich und werfen ihm Polemik vor. Wie der Kurier erfahren hat, gibt es sogar Morddrohungen gegen den Senator. Er hat Polizeischutz erhalten.
19
Eine junge Frau steht am Fluss. Die Wellen plätschern leise und verspielt ans Ufer. Du musst sie warnen. Sie setzt einen Fuß in das Wasser. Stück für Stück geht sie der Flussmitte entgegen. Du musst ihr helfen! Doch ihre Rufe bleiben ungehört. Das Mädchen ist viel zu weit weg, als dass sie ihre Worte verstehen könnte. Du kommst zu spät! Der Wasserpegel steigt an. Der Fluss tritt rauschend über seine Ufer. Frauen wie du sind schuld. Die Frau schlägt um sich, als könnte sie die wilden Wellen auf diese Weise vertreiben. Ihr Gesicht ist …
»Hey, es ist alles in Ordnung«, flüsterte eine Stimme aus dem Nichts.
Sera schlug die Augen auf.
»Es war nur ein Traum.« Gerry streichelte behutsam ihre Wange.
Sie bettete ihr Gesicht auf seine Hand. »Du bist kalt.«
»Ich war Brötchen holen.« Aus der Küche erklang ein Surren. »Und der Kaffee ist auch schon wach.«
Sera richtete sich auf. Ihre Decke rutschte ein Stück hinab und entblößte ihre Brüste.
Gerry beugte sich vor. »Du hast im Schlaf gesprochen.«
»Ehrlich?«
Abwechselnd küsste er ihre Brustwarzen. »Ja, so was
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