Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
Kopfschmerzen vertrieb er auf diese Weise zwar nicht, aber er fühlte sich frischer – zumindest vorübergehend. Er streifte die zerknitterten Klamotten vom Vortag über, noch immer die einzige Kleidung, die er besaß. Es war höchste Zeit, sich endlich um neue Hosen und Hemden zu kümmern. Zuvor aber um die Wohnung. Er schnürte seine Schuhe. Und davor um ein Frühstück. Mit dem Koffer in der Hand ging er in den Speisesaal. Das Büfett war abgeräumt.
    »Besteht noch die Chance auf ein Frühstück?«, erkundigte er sich an der Rezeption, während er auscheckte.
    Die uniformierte Dame hinter dem kirschholzfarbenen Tresen sah ihn mit großen Augen an. »Wissen Sie, wie spät wir es haben?«
    »Ja.«
    Seine Antwort brachte sie aus dem Konzept.
    »Und Kaffee?«, hakte er nach.
    »Ja, natürlich, an der Bar.«
    An der Bar? »Wissen Sie, wie spät wir es haben?«
    Robert wartete ihre Reaktion gar nicht erst ab, sondern marschierte stattdessen schnurstracks zum Ausgang.
    Auf der Friedrichstraße hielt er Ausschau nach einem Café. Bei Starbucks und Dunkin’ Donuts hatte er in den Staaten zu oft gefrühstückt, zumindest wenn man so nachsichtig sein wollte, das klebrige, fettige Zeug als Frühstück zu bezeichnen. Bei einem Bäcker im Bahnhof erstand er eine belegte Käseschrippe und einen Kaffee. Er stürzte die lauwarme Brühe hinunter, wie immer ohne belebende Wirkung. Er fühlte sich, wie seine Klamotten aussahen: zerknittert und verbraucht.
    Um sich von dem Schmerz hinter den Schläfen abzulenken, kaufte er am benachbarten Kiosk für einen Euro die Tageszeitung. Als er den Berliner Kurier auseinanderfaltete, sprang ihm die Schlagzeile auf der Titelseite direkt ins Auge. Türkin von Ehemann niedergestochen! Ohne einen weiteren Blick klappte er die Zeitung zusammen und warf sie zurück auf den Stapel.
    Der Verkäufer, ein beleibter Mann, dem der fleischige Bauch zwischen Hosenbund und einem absurd pinken Hemd hervorquoll, grinste. »Jefallen Ihnen die Nachrichten nich?«
    Robert vergrub die Zähne in dem zähen Brötchen.
    »Jekooft is aba jekooft.«
    »Behalten Sie das Geld.«
    Der Händler beugte sich über die Kasse, als würde er sie unter seinem Fettwanst in Sicherheit bringen wollen. »Sicha?«
    »Klar doch.«
    Die nächste S-Bahn ließ eine halbe Ewigkeit auf sich warten. Das Wetter hatte sich im Vergleich zum Vortag gebessert, die Laune der Pendler nur wenig. Die Abteile waren genauso überfüllt und aufgeheizt und rochen nach den verschiedensten körperlichen Ausdünstungen. Ein SUV hat auch seine Vorteile . Zum Glück dauerte die Fahrt bis zum Ostkreuz nur wenige Minuten.
    Die Gegend rings um den Bahnhof hatte sich in den letzten vier Jahren stark verändert. Fast zwei Jahrzehnte lang waren die Altbauten von den Eigentümern vernachlässigt worden, so dass der Bahnhof mit seinen brüchigen Bahnsteigen ein Schandfleck unter vielen anderen gewesen war. Niemand hatte sich an der Hässlichkeit des Viertels gestört, denn die Mieten waren billig gewesen. Auf die vielen Studenten, die hierhergezogen waren, hatte die Verkommenheit sogar einen ganz eigenen, kreativen Charme ausgeübt. Immer mehr Kneipen und Clubs waren eröffnet worden, und auch Geschäfte hatten sich angesiedelt, die den entsprechenden urbanen Lifestyle verkauften. Über Nacht war die Gegend plötzlich angesagt gewesen. Als auch noch die Bahn beschlossen hatte, den Bahnhof endlich zu sanieren, waren die Mieten explodiert. Ein Haus nach dem anderen war renoviert worden. Heute erinnerten nur noch die Graffitischmierereien – ein letztes Aufbäumen der alternativen Szene – an die vergangenen Tage am Ostkreuz.
    Robert schlenderte zu einem Altbau in der Weichselstraße. Das Haus war um die Jahrhundertwende gebaut worden und ebenfalls komplett saniert. Dass die Miete bezahlbar geblieben war, lag an den Straßenbahnen, die den ganzen Tag und die halbe Nacht auf der Straße direkt vor dem Haus vorbeirumpelten.
    Max lehnte mit ernster Miene an der bunt beschmierten Wand. Seine Hände hatte er tief in den Manteltaschen vergraben. »Du kommst spät.«
    »Waren wir verabredet?«
    »Das hast du wohl vergessen.«
    Robert stellte den Koffer ab und rieb sich die Schläfe. Allmählich ließen die Kopfschmerzen nach. »Entschuldige, ich hatte eine lange Nacht.«
    »Hast du getrunken?«
    »Nur zwei, drei Gläser Rotwein.«
    »Allein?«
    »Ja.« Robert wollte noch etwas hinzufügen, aber das Dröhnen der Straßenbahn erstickte seine Worte.
    Sein Bruder neigte

Weitere Kostenlose Bücher