Kalte Haut
die Musik überlagerte. Als der Lärm leiser wurde, hallten die blechernen Stimmen eines Fernsehers aus dem ersten Eingang, der von den schwarzen und weißen Marmorfliesen, die in einem Schachbrettmuster gelegt waren, links abzweigte. Ich habe dir immer gesagt, du sollst auf das Baby aufpassen … Habe ich, aber seit du dich wie ein Arschloch verhältst … Selber Arschloch! Früher waren die Sinfonien berühmter Komponisten aus der Wohnung durch das Treppenhaus erklungen – einer der Gründe, weshalb Robert sich für das Haus entschieden hatte.
»Ach, Sie sind det«, wiederholte der Mann, der in Feinrippunterhemd und Jogginghose im Türrahmen erschien. Er stank nach erkaltetem Zigarettenqualm, sein Gesicht war rotfleckig, die Haare so zerzaust, als sei er eben erst aufgestanden.
War es etwa denkbar, dass Frau Kornfeld auf ihre alten Tage noch einmal …? Nein, unmöglich! Sie war eine vornehme, belesene, gemütliche Ärztin im Ruhestand gewesen. Ihre Wohnung besaß dank einer Ottomane, eines Rokoko-Sofas, goldbestickter Tagesdeckchen und eines Rundfunkempfängers des VEB Sachsenwerk einen rustikalen, aber kultivierten Charme. Der Anschaffung eines Fernsehers hatte sie sich vehement verweigert, und einen Typen wie diesen hätte sie vermutlich nicht einmal als Patient geduldet.
Als hätte er Roberts Gedanken gelesen, stemmte Kornfeld die Hände in seine speckige Hüfte. »Ick bin ihr Sohn.«
Das erklärt natürlich einiges. Und warf dennoch allerhand Fragen auf. Robert reichte ihm die Hand. »Und Ihre Mutter? Ist sie unterwegs?«
Kornfeld lachte wiehernd. »Nee, det mit Sichaheit nich. Mutta is jestorben. Vor anderthalb Jahren schon.« Eine vorbeifahrende Straßenbahn unterbrach ihn. Als das Scheppern verklang, fügte er hinzu: »Det Haus jehört jetzt mir.«
»Ich habe Ihrer Mutter meine Wohnungsschlüssel gegeben und sie gebeten, sie bis zu meiner Rückkehr aufzubewahren.«
Kornfeld kratzte sich skeptisch am Kopf. »Ja, ick jloobe, det hat se mal erwähnt. Aba …«
»Ich hatte Ihre Mutter auch darum gebeten, in meiner Wohnung gelegentlich zu lüften und die Blumen zu gießen.«
»Daran kann ick mir nich mehr erinnern. Hab mich nur immer jewundert, wieso da niemand ein und aus jeht. Fand ick merkwürdig.« Er zuckte mit den Achseln, aus denen dichte Haarbüschel sprossen. »Aber solange die Miete jezahlt wird …«
»Das hatte ich mit Ihrer Mutter so abgemacht. Und auch die Nebenkosten habe ich …«
»Det war ja ooch det Mindeste.« Kornfeld nieste und wischte sich mit dem Handrücken die feuchte Nase. »Andernfalls hätt ick die Wohnung längst neu vermietet.«
»Ich hätte jetzt gerne die Schlüssel zurück.«
Kornfeld rührte sich nicht. Nur sein Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an. »Wat? Die muss ick erst mal suchen.«
25
Im dritten Stock des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz roch es nach frischgebackenem Kuchen. Der zimtsüße Duft verbesserte schlagartig Seras Laune. Sie musste sogar lachen, als sie im Vorzimmer der Büros auf ihre Kollegen traf. Gesing und Blundermann kämpften mit einem undefinierbaren weißen, wackelnden Brei, den sie auf Untertellern weit von sich streckten, als handelte es sich dabei um einen Haufen sich windender Maden.
»Was ist denn das?«, fragte Sera.
»Ritas neueste Kreation.« Blundermann schüttelte seinen kräftigen Leib. »Apfel-Quark-Torte mit Zimt und Zucker.«
»Zumindest hat sie das behauptet.« Gesing schielte zum Konferenzraum, in dem Geschirr klapperte. »Aber es schmeckt wie …«
»… getragene Schuheinlagen, sag’s ruhig«, fiel Blundermann ihm ins Wort.
»Nur gut, dass ich bereits gefrühstückt habe«, erklärte Sera.
Gesing grinste. »Du glaubst doch nicht etwa, dass Rita sich mit einer derart billigen Ausrede abspeisen lässt?«
»Du weißt doch, wie sie ist.« Blundermann bleckte die Zähne zu seinem George-Clooney-Grinsen. »Ohne zu probieren, kommst du nicht an ihr vorbei.«
»Und wehe, du hast deinen Teller nicht …« Gesing verstummte.
Trippelnden Schrittes kam eine kleine, wohlgenährte, in grünem Wickelrock und Rüschenbluse gekleidete Mittfünfzigerin aus dem Nebenzimmer. »Na, Jungs, schmeckt es euch?«
»Bestens!« Die Kollegen nickten artig. »Der beste Kuchen seit Langem, Rita.«
Rita Barnitzke strahlte. Sie war offiziell die Sekretärin, verstand sich aber als gute Seele des Morddezernats, ständig um das Wohlergehen der Kollegen bemüht. Seelisch wie körperlich. Kuchen, frisch und selbst gebacken,
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