Kalte Haut
der Geburtstagsfeier vorbeikommen? 1000 heiße Küsse. G.
Noch eins ihrer Probleme. Sie stopfte das Handy zurück in die Hosentasche und kämpfte sich weiter durch die Akte. Sie hielt Ausschau nach Vereinen und Namen, die ihr bekannt vorkamen. Sei ehrlich, du suchst einen ganz bestimmten Namen.
»Wow!«, machte Blundermann, dessen kantiger Schädel zwischen Tür und Angel erschien.
»Hä?«
»Heute ganz in Rot!«
Sera strich über den roten Pullover, für den sie sich nach dem Aufstehen beim Ankleiden entschieden hatte. Eine feierliche Farbe. Ihr grauste vor dem Geburtstag, doch sie würde nicht kneifen. Jetzt erst recht nicht.
Sie hielt die Ermittlungsakte hoch. »Schon gelesen?«
»Ja.«
»Gib mir eine Zusammenfassung.«
»Nichts«, brummte Blundermann verdrossen. »Keine nennenswerten Hinweise. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass Dr. Babicz etwas herausgefunden hat.«
»Ist er schon hier?«
»Wartet im Konferenzraum.«
Ungeachtet der Tropenhitze hockte der Psychologe vor dem Fernseher. Der Videorekorder surrte und spielte den Film ab, der gestern im Internet und auf allen Sendern zu sehen gewesen war: der dunkle Raum, ein heller Lichtstrahl, Frank Lahnstein gefesselt auf einem Tisch, auf seinem nackten Körper Blut, in seinem Gesicht panische Angst.
»Beim besten Willen«, bedauerte Babicz, »aber daran fällt mir nichts auf, was uns weiterhelfen könnte.«
»Aber Ihnen ist etwas aufgefallen?«, fragte Sera.
Der Psychologe deutete auf die Ermittlungsakte in ihrer Hand. »Ich habe die Berichte gelesen und bin bei den Befragungsprotokollen über etwas gestolpert.«
Vorsichtig setzte sich Sera neben den Psychologen. Er wirkte nicht viel ausgeruhter als gestern. Sein müdes Gesicht ließ nicht erkennen, was genau er beim Aktenstudium bemerkt hatte, aber in Seras Gedanken formulierte er bereits erste Fragen. Frau Muth, sagt Ihnen eigentlich Aydinlar Kültür ve Dayanısma Dernegi etwas? Und handelt es sich bei der Namensgleichheit um einen Zufall, oder ist Mergim Muth mit Ihnen verwandt?
Sera spürte einen Kloß im Hals.
Im Flur näherten sich stampfende Schritte. Dr. Wittpfuhls gebräuntes Gesicht leuchtete rot vor Zorn. »So ein Bockmist! Da fährt man mal mit der Bahn, weil der Wagen in der Inspektion ist, und dann …«
»Kein Vergnügen zurzeit«, räumte Blundermann ein.
»Was Sie nicht sagen!« Der Gerichtsmediziner pfefferte einen BVG-Plan neben die Kaffeemaschine. »Zurück nehme ich mir ein Taxi. Und die Rechnung kriegt der Chef.«
»Eher ruft er Ihnen den Leichenwagen, als dass er Ihnen das Taxi bezahlt«, unkte Gesing, der sich zu ihnen gesellt hatte.
Hinter ihm trat Dr. Franziska Bodde in den Raum. »Ist die Rede von Dr. Salm?«
»Achtung, er kommt!«, warnte Rita. »Heute mit Verstärkung.«
Im Gefolge des Dezernatsleiters befand sich der leitende Oberstaatsanwalt Jürgen Heindl, der keine Worte an eine Begrüßung verschwendete. »Bitte, meine Damen und Herren«, sagte er, knöpfte sein Jackett auf und hängte es über die Stuhllehne, »lassen Sie kein Detail aus. Darüber, was der Presse mitgeteilt wird, entscheiden wir später.«
Die Anwesenden setzten sich auf ihre Plätze um den Tisch. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen. Nur das Gluckern der Heizung war zu hören. Sera kämpfte nicht nur mit dem Schmerz, sondern auch mit der Hitze, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieb. Sie beobachtete Babicz, der in der Ermittlungsakte blätterte. Was ist ihm aufgefallen?
»Wir haben in dem Lagerhaus in Friedrichshain eine Menge unterschiedlicher Spuren vorgefunden«, begann Dr. Bodde. »Unter anderem Kaugummireste, Speichel, Urin, Haare, Schuhabdrücke, Faseranhaftungen und Hautpartikel – was man in einer verlassenen Lagerhalle eben so findet. Dementsprechend alt sind die Spuren auch. Das gilt übrigens genauso für den Großteil der latenten Fingerabdrücke: fast dreißig in der Lagerhalle, weitere zwanzig im Vorraum. Viele davon sind verwittert, durch Staub und Dreck überlagert oder unvollständig. Eine Verbindung zum Tod von Frank Lahnstein dürfte aufgrund des Alters der Spuren ausgeschlossen sein.«
»Verstehe ich Sie richtig?« Dr. Salm klang nicht sonderlich erbaut. »Die Täter haben keine Spuren hinterlassen?«
»Keine Spuren? Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit.« Mit einem nachsichtigen Lächeln langte die Kriminaltechnikerin nach einer Flasche Selters und füllte mit dem sprudelnden Wasser ihr Glas. Sie trank einen Schluck, seufzte leicht. Auch
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