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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einem lautstarken Chor von »Da-bist-du-ja-Darling«- und »Fantastisches-Kleid«-Rufen begrüßt wurde. Die schrille Fröhlichkeit kam Abby gerade in diesem Moment vulgär vor, fast obszön. Sie wünschte, sie und Mark wären zu Hause geblieben. Aber er wollte ausgehen. Sie hatten so wenige gemeinsame freie Abende, daß sie noch nicht dazu gekommen waren, ihre Verlobung angemessen zu feiern. Er hatte Wein bestellt, mit ihr angestoßen und leerte jetzt den Rest der Flasche alleine – etwas, das er öfter und öfter zu tun schien. Sie sah zu, wie er den letzten Schluck hinunterkippte, und dachte, daß der ganze Streß ihrer juristischen Probleme auch ihn mitnahm.
    »Warum hast du mir nie von ihnen erzählt?« fragte sie.
    »Es hat sich nie ergeben.«
    »Ich hätte erwartet, daß irgend jemand sie mal erwähnt, vor allem nach Aarons Tod. Das Team verliert in sechs Jahren drei Kollegen, und niemand sagt ein Wort. Es ist fast so, als hättet ihr Angst, darüber zu reden.«
    »Es ist ein ziemlich deprimierendes Thema. Wir versuchen, es zu meiden, vor allem in Gegenwart von Marilee. Sie kannte Hennessys Frau. Sie hat sogar die Party zur Geburt ihres Babys organisiert.«
    »Das Baby, das gestorben ist?«
    Mark nickte. »Es war für alle ein Schock. Eine ganze Familie, einfach so. Marilee war völlig hysterisch, als sie es erfahren hat.«
    »Es war definitiv ein Unfall?«
    »Sie hatten das Haus erst wenige Monate zuvor gekauft und die alte Heizung noch nicht ersetzt. Ja, es war ein Unfall.«
    »Aber Kunstlers Tod war kein Unfall?«
    Mark seufzte. »Nein, Larrys Tod war kein Unfall.«
    »Was glaubst du, warum er es getan hat?«
    »Warum hat Aaron es getan? Warum begeht irgend jemand Selbstmord? Wir können ein halbes Dutzend Gründe zusammentragen, Abby, aber die Wahrheit ist, daß wir es nicht wissen. Wir werden es nie wissen. Und wir können es nie verstehen. Wir sehen normalerweise das große Ganze und sagen uns: ›Alles wird besser. Es wird immer besser!‹ Irgendwie hatte Larry diese langfristige Perspektive verloren. Und das ist der Punkt, an dem Menschen auseinanderbrechen. Wenn sie die Zukunft aus dem Blick verlieren.« Er nippte an seinem Wein, trank noch einen Schluck, schien jedoch allen Geschmack daran verloren zu haben, genau wie an dem Essen.
    Sie verzichteten auf das Dessert und verließen das Restaurant.
    Beide waren still und deprimiert.
    Mark fuhr durch den dichter werdenden Nebel und Nieselregen. Das Flüstern der Scheibenwischer ersetzte ein Gespräch.
    ›Das ist der Punkt, an dem Menschen auseinanderbrechen‹, hatte Mark gesagt. ›Wenn sie die Zukunft aus dem Blick verlieren.‹
    Abby starrte in den Nebel und dachte, daß sie an diesem Punkt angekommen war, daß sie die Zukunft nicht mehr sehen konnte.
    Ich weiß nicht, was mit mir geschieht. Oder mit uns.
    »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte Mark leise. »Ich möchte wissen, was du darüber denkst. Vielleicht hältst du mich für verrückt. Vielleicht bist du aber auch ganz begeistert von der Idee.«
    »Von welcher Idee?«
    »Es ist etwas, wovon ich schon lange geträumt habe. Schon sehr lange.«
    Sie fuhren Richtung Norden, ließen Boston hinter sich und kamen durch Reveree, Lynn und Swampscott. Beim Marblehead-Jachthafen parkte er den Wagen und sagte: »Sie ist gleich dort, am Ende des Stegs.«
    Sie war eine Jacht.
    Abby stand zitternd und verwirrt am Pier, während Mark die Länge des Bootes abschritt. Seine Stimme klang lebhaft, lebhafter als den ganzen Abend, während er enthusiastisch gestikulierte.
    »Eine Luxusjacht«, erläuterte er. »Achtundvierzig Fuß, komplett ausgestattet, alles, was wir brauchen. Brandneue Segel und Ausrüstung. Sie ist praktisch wie neu. Sie würde uns tragen, wohin wir wollten. In die Karibik, über den Pazifik. Was du hier siehst, ist Freiheit, Abby!« Er stand auf dem Pier, den Arm wie zum Salut für das Boot erhoben. »Grenzenlose Freiheit.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
    »Es ist ein Ausweg! Vergiß die Stadt. Vergiß das Krankenhaus.
    Wir kaufen dieses Boot, steigen aus und segeln los.«
    »Wohin?«
    »Irgendwohin.«
    »Ich will nicht irgendwohin.«
    »Es gibt keinen Grund, hier zu bleiben. Jetzt nicht mehr.«
    »Doch. Für mich schon. Ich kann nicht einfach meine Sachen packen und abhauen! Ich habe noch drei Jahre Ausbildung vor mir, Mark. Die muß ich zu Ende bringen, sonst werde ich nie Chirurgin.«
    »Ich bin einer, Abby. Ich bin das, was du sein möchtest, was du denkst, daß

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