Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
hat sich umgebracht?«
    Die Bibliothekarin nickte. »Genau wie Dr. Levi.«
    Das Geklapper der Mah-Jongg-Steine, die auf dem Eßtisch gemischt wurden, war zu laut, um sich dabei zu unterhalten.
    Vivian machte die Küchentür zu und trat an das Waschbecken, wo sie den Durchschlag mit Bohnensprossen abgestellt hatte.
    Sie fing wieder an, die geschrumpelten Schwänze abzuknipsen und die Köpfe in eine Schüssel zu geben. Abby kannte keinen Menschen, der sich die Mühe machte, die Wurzeln der Bohnensprossen abzuknipsen. Das taten nur die ewig pingeligen Chinesen, erklärte Vivian ihr. Sie verbrachten Stunden über der Zubereitung eines Gerichts, das sie dann in Minuten verschlangen. Und wer bemerkte die Wurzeln überhaupt?
    Vivians Großmutter bemerkte sie, und die Freundinnen ihrer Großmutter auch. Wenn man diesen Damen eine Schüssel mit Bohnensprossen servierte, bei denen die Wurzeln nicht entfernt worden waren, würden sie alle die Nase rümpfen. Also konzentrierte sich die gehorsame Enkelin, die begabte Chirurgin, die in Kürze ihre eigene Praxis eröffnen würde, auf die gewichtige Aufgabe, Sprossen zu säubern. Dabei hörte sie Abbys Geschichte an, ohne daß ihre anmutigen Hände auch nur eine Sekunde stillstanden.
    »Verdammt«, murmelte Vivian. »Verdammt, Sie sitzen wirklich in der Klemme.«
    Im Nebenzimmer hatte das Geklapper der Spielsteine aufgehört, die nächste Runde des Spiels hatte begonnen. Hin und wieder wurde das summende Geschwätz durch das Klackern eines gesetzten Steines unterbrochen.
    »Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?« fragte Abby.
    »Er hat Sie so oder so in der Hand, DiMatteo.«
    »Deswegen rede ich ja mit Ihnen. Sie hat Victor Voss auch fertiggemacht. Sie wissen, wozu er fähig ist.«
    »Ja«, sagte Vivian. »Das weiß ich nur zu gut.«
    »Meinen Sie, ich sollte zur Polizei gehen? Oder soll ich es aussitzen in der Hoffnung, daß sie nicht noch tiefer graben?«
    »Was rät Mark?«
    »Er sagt, ich sollte den Mund halten.«
    »Ich bin ganz seiner Meinung. Nennen Sie es von mir aus mein angeborenes Mißtrauen gegen Autoritäten. Sie setzen weit mehr Vertrauen in die Polizei als ich, wenn Sie erwägen, sich zu stellen und auf das Beste zu hoffen.« Vivian trocknete sich an einem Geschirrtuch die Hände ab und sah Abby an. »Glauben Sie wirklich, daß Ihre Patientin ermordet wurde?«
    »Wie soll ich mir den Morphiumlevel sonst erklären?«
    »Sie bekam doch sowieso schon Morphium. Ihre Toleranz war wahrscheinlich schon so weit entwickelt, daß man extrem hohe Dosierungen brauchte, um sie schmerzfrei zu halten. Vielleicht sind die Dosen am Ende akkumuliert.«
    »Nur, wenn sie noch eine zusätzliche Dosis erhalten hat. Aus Versehen oder vorsätzlich.«
    »Bloß um Ihnen die Sache anzuhängen?«
    »Normalerweise prüft niemand den Morphiumlevel einer unheilbaren Krebspatientin! Jemand wollte sichergehen, daß ihre Ermordung nicht unbemerkt blieb. Jemand, der wußte, daß es Mord war. Und jemand, der Brenda Hainey einen anonymen Brief zukommen ließ.«
    »Woher wissen wir, daß es Victor Voss war?«
    »Er ist der einzige, der mich von Bayside weg haben will.«
    »Ist er wirklich der einzige?«
    Abby starrte Vivian an und fragte sich: Wer sollte mich sonst noch vertreiben wollen?
    Im Eßzimmer kündete das donnernde Geklapper der Mah-Jongg-Steine vom Ende einer weiteren Runde. Das Geräusch schreckte Abby aus ihren Gedanken. Sie begann, in der Küche auf und ab zu laufen, vorbei an dem Reiskocher, der auf dem Tresen blubberte, vorbei an dem Herd, wo aus diversen Kochtöpfen würzige und exotische Dämpfe stiegen. »Das ist doch verrückt. Ich kann nicht glauben, daß es sonst jemanden gibt, der so etwas tun würde, nur damit ich gefeuert werde.«
    »Jeremiah Parr muß seinen eigenen Hals retten. Und wahrscheinlich spürt er in diesem Augenblick schon Voss’ Atem im Nacken. Überlegen Sie mal. Der Aufsichtsrat des Krankenhauses ist gespickt mit Voss’ reichen Kumpeln. Die könnten Parr feuern, wenn er Sie nicht vorher feuert. Sie sind nicht paranoid, DiMatteo. Die Leute haben es wirklich auf Sie abgesehen.«
    Abby ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen. Sie hatte Kopfschmerzen von dem Spiellärm nebenan und von dem Geschnatter der alten Damen. Überhaupt war das Haus voller Geräusche. Besucher redeten auf kantonesisch miteinander, als würden sie sich anschreien. Es waren freundliche Gespräche in der Phonstärke von lautstarkem Streit. Wie konnte Vivian es aushalten, daß ihre

Weitere Kostenlose Bücher