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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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drückte sie an seine Lippen. »Du mußt ein wenig schlafen, Victor«, sagte sie.
    »Ich bin nicht müde.«
    »Aber ich sehe doch, daß du müde bist.«
    »Nein, bin ich nicht.« Er küßte erneut ihre Hand, seine warmen Lippen auf ihrer kühlen Haut. Einen Moment lang sahen sie sich an. Sauerstoff zischte leise durch die Schläuche in ihren Nasenlöchern. Durch das offene Fenster hörte man die Wellen des Ozeans gegen die Felsen rauschen.
    Nina schloß die Augen. »Weißt du noch damals …« Ihre Stimme erstarb, als sie innehielt, um Luft zu holen.
    »Wann?« fragte er leise.
    »Der Tag … als ich … mein Bein gebrochen habe.«
    Es war in der Woche gewesen, als sie sich in Gstaad kennengelernt hatten. Er hatte ihr später erzählt, daß er beobachtet hatte, wie sie im Schuß eine Piste hinuntergesaust war. Er war ihr bergab gefolgt, im Lift wieder hinauf und ein zweites Mal talwärts. Das war vor fünfundzwanzig Jahren gewesen.
    Seither waren sie jeden Tag ihres Lebens zusammengewesen.
    »Ich wußte es«, flüsterte sie. »In diesem Krankenhaus, als du an meinem Bett gewacht hast, wußte ich es.«
    »Was wußtest du, Liebes?«
    »Daß du der Einzige für mich warst.« Sie öffnete die Augen und lächelte ihn erneut an. Erst jetzt sah sie die Träne, die seine zerfurchte Wange hinabrollte. Victor weinte doch nicht! Sie hatte ihn noch nie weinen sehen, kein einziges Mal in fünfundzwanzig gemeinsamen Jahren. Sie hatte Victor immer für den Starken und Tapferen gehalten. Als sie jetzt in sein Gesicht blickte, erkannte sie, wie sehr sie sich geirrt hatte.
    »Victor«, flüsterte sie und drückte seine Hand. »Du darfst keine Angst haben.«
    Rasch und fast wütend wischte er sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich werde das nicht zulassen. Ich werde dich nicht verlieren.«
    »Das wirst du nie.«
    »Nein, das reicht mir nicht! Ich möchte dich hier auf der Erde.
    Bei mir!«
    »Victor, wenn es eins gibt, was ich weiß …«, sie atmete tief ein und rang nach Luft, »dann, daß die Zeit … die wir hier haben … nur ein sehr kleiner Teil … unserer Existenz ist.«
    Sie spürte, wie er vor Ungeduld erstarrte und sich zurückzog.
    Er stand auf und ging an das Fenster, wo er stehenblieb und über den Sund blickte. Sie fühlte, wie die Wärme seiner Hand auf ihrer Haut nachließ, fühlte, wie die Kälte zurückkam.
    »Ich werde mich darum kümmern, Nina«, sagte er.
    »Es gibt Dinge … in diesem Leben … die wir nicht ändern können.«
    »Ich habe bereits Maßnahmen ergriffen.«
    »Aber Victor …«
    Er drehte sich um und sah sie an. Seine vom Fenster gerahmten Schultern schienen alles Licht der Morgenröte zu verdecken.
    »Es wird alles geregelt, Liebes«, sagte er. »Du brauchst dir gar keine Sorgen zu machen.«
    Es war einer dieser warmen und wunderbaren Abende, die Sonne ging gerade unter, Eiswürfel klirrten in Gläsern, parfümierte Damen in Seide und Voile schwebten vorbei. Als Abby im von einer Mauer umgebenen Garten von Dr. Bill Archer stand, erschien ihr selbst die Luft magisch. Klematis und Rosen rankten an einer gitterartigen Pergola, der weitläufige Rasen war mit bunten Blumen gesprenkelt. Dieser Garten war der ganze Stolz und die Freude von Marilee Archer, deren tiefe Altstimme vernehmlich botanische Namen rezitierte, als sie die Frauen der anderen Ärzte von Blumenbeet zu Blumenbeet führte.
    Archer stand mit einem Whiskey-Cocktail in der Hand auf der Terrasse und lachte. »Marilee kann mehr Latein als ich.«
    »Ich habe auf dem College drei Jahre Latein belegt«, erklärte Mark. »Aber ich kann mich nur noch an das erinnern, was ich im Medizinstudium gelernt habe.«
    Sie standen um einen gemauerten Grill, Bill Archer, Mark, der General und zwei chirurgische Assistenzärzte. Abby war die einzige Frau in diesem Kreis. Das war etwas, woran sie sich nie gewöhnt hatte. Manchmal vergaß sie es für einen Augenblick oder zwei, doch dann blickte sie sich in dem Raum um, in dem die Chirurgen gerade versammelt waren, und verspürte das gewohnte Unbehagen darüber, daß sie ausschließlich von Männern umgeben war.
    Zu Archers Hausfest waren natürlich auch die Ehefrauen der Ärzte eingeladen, doch sie schienen sich in einem Paralleluniversum zu bewegen, das nur wenige Berührungspunkte mit dem ihrer Männer zu besitzen schien.
    Wenn sie bei den Chirurgen stand, schnappte Abby manchmal von weitem einen Fetzen des Gespräches der Ehefrauen auf. Es waren Unterhaltungen über Damastrosen, Reisen nach Paris oder

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