Kalte Herzen
diese fünf Männer mit Ehrfurcht betrachtet und sich schon privilegiert gefühlt, Archer oder Mohandas nur bei einer Operation assistieren zu dürfen. Und obwohl ihre Beziehung mit Mark sie in diesen gesellschaftlichen Kreis eingeführt hatte, hatte sie nie vergessen, wer diese Männer waren und welche Macht sie über ihre eigene Karriere hatten.
Archer nahm ihr gegenüber Platz. »Ich habe viel Gutes über Sie gehört, Abby. Vom General. Bevor er eben gegangen ist, hat er Ihnen ein paar wundervolle Komplimente gemacht.«
»Dr. Wettig?« Abby konnte ein überraschtes Lachen nicht unterdrücken. »Um ehrlich zu sein – ich weiß nie ganz genau, was er von meinen Fähigkeiten hält.«
»So ist der General nun mal. Er verbreitet gern ein bißchen Unsicherheit.«
Die anderen Männer lachten, Abby auch.
»Ich halte große Stücke auf das Urteil des Generals«, fuhr Archer fort. »Und ich weiß, daß er Sie für eine der besten Assistenzärzte in unserem Ausbildungsprogramm hält. Ich habe schon mit Ihnen gearbeitet und weiß, daß er recht hat.«
Abby rutschte verlegen auf der Couch hin und her. Mark ergriff ihre Hand und drückte sie ermutigend. Es war eine Geste, die Archer nicht entging und die er mit einem Lächeln quittierte.
»Mark hält Sie offensichtlich auch für etwas ganz Besonderes.
Und das ist auch einer der Gründe, warum ich dachte, daß wir dieses kleine Gespräch führen sollten. Es mag vielleicht ein wenig verfrüht erscheinen, aber wir planen langfristig, Abby.
Wir sind der Ansicht, daß es nie schaden kann, das Terrain im voraus zu sondieren.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, sagte Abby.
Archer griff nach der Brandy-Karaffe und goß sich einen kleinen Schluck nach. »Unser Transplantationsteam interessiert sich nur für die Besten. Und wir beobachten die Assistenzärzte ständig auf Kandidaten, die das Zeug zum Chirurgen und mehr haben. Natürlich sind unsere Motive egoistischer Natur: Wir suchen Verstärkung für unser Team.« Er machte eine Pause.
»Und wir haben uns gefragt, ob Sie sich vielleicht für Transplantationschirurgie interessieren.«
Abby warf Mark einen überraschten Blick zu. Er nickte.
»Sie müssen das nicht in naher Zukunft entscheiden«, erklärte Archer. »Aber wir möchten, daß Sie darüber nachdenken. In den kommenden Jahren haben wir Gelegenheit, uns gegenseitig besser kennenzulernen. Vielleicht haben Sie dann ja längst andere Pläne. Vielleicht stellt sich heraus, daß Transplantationschirurgie Sie nicht im geringsten interessiert.«
»Ganz im Gegenteil!« Sie beugte sich vor, das Gesicht vor Begeisterung gerötet. »Ich bin vermutlich nur … überrascht von Ihrem Angebot. Und ich fühle mich geschmeichelt. In dem Ausbildungsprogramm gibt es so viele gute Assistenzärzte.
Vivian Chao zum Beispiel.«
»Ja, Vivian ist gut.«
»Ich nehme an, daß sie sich im nächsten Jahr für eine Stelle als Fachärztin interessieren wird.«
»Es steht vollkommen außer Frage, daß Dr. Chao über herausragende chirurgische Fertigkeiten verfügt«, bemerkte Mohandas. »Mir fallen da einige Assistenzärzte ein, die exzellent arbeiten. Aber vielleicht kennen Sie das Sprichwort: Man kann auch einem Affen das Operieren beibringen. Der Trick ist nur, ihm beizubringen, wann er operieren muß.«
»Raj will wohl sagen, daß wir jemanden suchen, auf dessen klinische Diagnose wir uns verlassen können«, erläuterte Archer.
»Und nach einem Kollegen oder einer Kollegin mit Sinn für Teamwork. Das ist etwas, worauf wir großen Wert legen, Abby, Teamwork. Im Stress eines OPs kann alles mögliche schieflaufen. Apparate versagen, das Skalpell rutscht aus, ein Herz geht unterwegs verloren. Wir müssen uns darauf verlassen, daß wir zusammenhalten, egal was kommt. Und das tun wir auch.«
»Wir helfen uns gegenseitig aus«, warf Frank Zwick ein. »Im OP und auch außerhalb.«
»Unbedingt«, sagte Archer. Er warf einen Blick zu Aaron.
»Meinst du nicht auch?«
Aaron räusperte sich. »Ja, wir helfen uns gegenseitig. Das ist einer der Vorteile daran, zum Team zu gehören.«
Eine Weile sagte niemand etwas. Das Brandenburgische Konzert spielte leise im Hintergrund. »Diese Stelle mag ich besonders«, bemerkte Archer und drehte die Musik lauter. Als die Geigenklänge aus den Lautsprechern schallten, ertappte Abby sich dabei, wie sie erneut den Tod im Kampf mit dem Arzt betrachtete, im Kampf um das Leben und die Seele einer Patientin.
»Sie haben noch andere Vorteile
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