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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wurden hinter ihren Rücken gezerrt und an den Handgelenken gefesselt. Ihr Mund wurde zugeklebt.
    Dann wurde sie hochgehoben und in den Kofferraum eines in der Nähe wartenden Wagens gestoßen.
    Die Haube wurde zugeschlagen, und sie war in der Dunkelheit gefangen.
    Der Wagen fuhr los.
    Abby drehte sich auf den Rücken und trat mit den Füßen wieder und wieder gegen die Kofferraumklappe, bis ihre Schenkel schmerzten und sie die Beine kaum noch heben konnte. Es war zwecklos; niemand konnte sie hören.
    Erschöpft rollte sie sich auf der Seite zusammen und zwang sich nachzudenken.
    Tarasoff. Wie war Tarasoff in die Sache verwickelt? Langsam fügte sich das Bild Stück für Stück zusammen.
    Während sie eingeengt in der Dunkelheit lag und jedes Schlagloch spürte, begann sie zu verstehen. Tarasoff war der Leiter eines der angesehensten Herztransplantationsteams an der Ostküste. Sein Ruf lockte verzweifelte Patienten aus der ganzen Welt an, Patienten, die das nötige Kiemgeld hatten, zu einem Chirurgen ihrer Wahl zu gehen. Sie verlangten den Besten, und sie konnten ihn sich leisten.
    Was sie nicht kaufen konnten und legal nie würden kaufen können, war das, was sie brauchten, um am Leben zu bleiben: Herzen. Menschliche Herzen.
    Die wiederum konnte das Bayside-Transplantationsteam liefern. Sie erinnerte sich daran, was Tarasoff gesagt hatte: »Ich selbst habe schon oft Patienten ans Bayside überwiesen.«
    Er war Baysides Mittelsmann! Er war ihr Vermittler! Sie spürte, wie der Wagen bremste. Die Reifen rollten über Schotter und blieben stehen. Sie hörte ein entferntes Grollen, das sie als den Lärm eines startenden Flugzeugs erkannte. Da wußte sie genau, wo sie waren.
    Die Klappe wurde geöffnet, und Abby wurde durch böigen Wind getragen, der nach Meer und Diesel roch. Halb trugen, halb schleiften sie sie über den Pier und den Landungssteg hinauf. Ihre Schreie wurden durch das Klebeband auf ihrem Mund gedämpft und gingen im Dröhnen des Jets unter. Sie sah kurz das Deck des Frachters, schwankende Dunkelheit und geometrische Schatten, bevor sie über klappernde und scheppernde Stufen unter Deck gezerrt wurde, einen Absatz, dann noch einen.
    Eine Tür quietschte, und sie wurde in die Finsternis gestoßen.
    Ihre Hände waren immer noch hinter ihrem Rücken gefesselt, so daß sie den Sturz nicht auffangen konnte. Ihr Kinn schlug mit betäubender Wucht auf den Metallboden. Abby war zu geschockt, um sich bewegen oder auch nur ein Wimmern auszustoßen, als der Schmerz sich wie ein Pfahl in ihren Kopf bohrte.
    Sie hörte weitere Schritte die Treppe hinuntertrampeln. Wie von ferne hörte sie Tarasoff sagen: »Zumindest ist es keine völlige Verschwendung. Nehmt ihr das Klebeband ab. Sie soll uns schließlich nicht ersticken.«
    Abby rollte sich auf den Rücken und versuchte, etwas zu erkennen. Sie konnte Tarasoffs Umrisse in der schwach beleuchteten Tür erkennen. Als einer der Männer ihr das Klebeband abriß, zuckte sie zusammen.
    »Warum?« flüsterte sie. Es war die einzige Frage, die ihr einfiel.
    »Warum?«
    Die Silhouette zuckte knapp mit den Schultern, als ob die Frage irrelevant wäre. Die beiden anderen Männer verließen den Raum und machten Anstalten, sie einzuschließen.
    »Ist es das Geld?« schrie sie. »Ist die Antwort so einfach?«
    »Geld bedeutet gar nichts«, entgegnete Tarasoff, »wenn man sich damit nicht kaufen kann, was man braucht.«
    »Wie zum Beispiel ein Herz?«
    »Wie das Leben des eigenen Kindes. Oder der eigenen Frau, des eigenen Bruders oder der Schwester. Das müßten Sie doch besser verstehen als jeder andere, Dr. DiMatteo. Wir alle wissen von dem kleinen Pete und seinem Unfall. Er war erst zehn Jahre alt, nicht wahr? Wir wissen, daß Sie Ihre eigene private Tragödie durchlebt haben. Überlegen Sie, Doktor, was hätten Sie gegeben, um das Leben Ihres Bruders zu retten?«
    Sie sagte nichts, doch ihr Schweigen war Antwort genug.
    »Hätten Sie nicht alles gegeben? Alles getan?«
    Ja, dachte sie, und dieses Eingeständnis kostete sie keine Überlegung. Ja.
    »Stellen Sie sich vor, wie es ist«, fuhr er fort, »wenn man zusehen muß, wie die eigene Tochter stirbt. Alles Geld der Welt zu haben und trotzdem zu wissen, daß sie warten muß, bis sie an der Reihe ist. Nach den Alkoholikern, Drogensüchtigen, den Unzurechnungsfähigen und den Sozialbetrügern, die in ihrem Leben keinen einzigen Tag lang gearbeitet haben.« Er machte eine Pause und fügte leise hinzu: »Stellen Sie sich das

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