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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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doch die Frau starrte bei vollem Bewußtsein mit dem Ausdruck eines gequälten Tieres zu ihr hoch.
    »Das ist Nina Voss«, sagte Aaron.
    Abby antwortete nichts. Vor Entsetzen stumm blickte sie auf die Frau.
    »Sie wurde vor acht Stunden aufgenommen. Ihr Zustand hat sich seit ihrer Ankunft praktisch ununterbrochen verschlechtert.
    Um fünf Uhr hatte sie einen Herz-Kreislauf-Kollaps.
    Ventrikuläre Tachykardie. Vor zwanzig Minuten hatte sie einen weiteren Kollaps. Deswegen die Intubation. Sie sollte heute abend operiert werden. Das Team war bereit. Der OP war bereit.
    Dann erfahren wir, daß die Spenderin schon Stunden vor dem angesetzten Termin operiert wurde und daß das Herz, das an diese Frau hätte gehen sollen, gestohlen wurde.
Gestohlen,
Dr. DiMatteo.«
    Abby antwortete noch immer nicht. Sie war wie gebannt von der Tortur, die sie in Raum fünf vor sich sah. In diesem Augenblick traf ihr Blick auf den von Nina Voss, nur einen flüchtigen Moment lang, und sie sah ein Flehen um Gnade. Der Schmerz in diesen Augen erschütterte Abby.
    »Das wußten wir nicht«, flüsterte Abby. »Wir wußten nicht, daß ihr Zustand kritisch ist.«
    »Ist Ihnen klar, was jetzt passieren wird? Haben Sie eine Vorstellung davon?«
    »Der Junge –« Sie wandte sich an Aaron. »Der Junge lebt.«
    »Und was ist mit dem Leben dieser Frau?«
    Darauf gab es nichts, was Abby hätte erwidern können. Egal was sie sagte und wie sie sich verteidigte, sie konnte das Leiden hinter diesem Fenster nicht rechtfertigen.
    Den Mann, der vom Schwesternzimmer auf sie zukam, bemerkte sie nicht. Erst als er sagte: »Ist das Dr. DiMatteo?«
    nahm sie ihn zur Kenntnis. Er war Anfang sechzig und gut gekleidet, die Art Mann, deren bloße Anwesenheit Aufmerksamkeit verlangt.
    Leise antwortete sie: »Ich bin Abby DiMatteo.« Erst als sie das gesagt hatte, erkannte sie den Ausdruck in seinen Augen. Es war Haß, rein und giftig. Sie wäre fast zurückgewichen, als der Mann einen Schritt auf sie zu machte, während sich sein Gesicht vor Zorn verfinsterte.
    »Sie und die andere«, sagte er. »Dieses Schlitzauge.«
    »Mr. Voss, bitte«, sagte Aaron.
    »Glauben Sie, Sie können mich verschaukeln?« brüllte Voss Abby an. »Oder meine Frau? Das wird ein Nachspiel haben.
    Ich werde dafür sorgen, daß die Sache für Sie ein Nachspiel hat!« Mit geballten Fäusten kam er auf Abby zu.
    »Mr. Voss«, beschwor Aaron ihn. »Glauben Sie mir, wir werden uns auf unsere Art um Dr. DiMatteo kümmern.«
    »Ich will, daß sie aus dem Krankenhaus entfernt wird! Ich will ihr Gesicht hier nie wieder sehen!«
    »Mr. Voss«, setzte Abby an. »Es tut mir so leid. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid –«
    »Schaffen Sie sie mir aus den Augen,
verdammt
noch mal!«
    brüllte Voss.
    Aaron trat rasch zwischen sie. Er packte Abbys Arm und zog sie weg. »Sie sollten jetzt besser gehen«, meinte er.
    »Wenn ich nur mit ihm reden könnte, alles erklären.«
    »Das Beste, was Sie im Augenblick tun können, ist, die Intensivstation zu verlassen.«
    Sie warf einen Blick zu Voss, der sich vor Zimmer fünf aufgebaut hatte, als wolle er seine Frau vor einem Angriff beschützen. Nie zuvor hatte Abby ein derart haßerfülltes Gesicht gesehen. Alle Gespräche und Erklärungen der Welt würden nichts daran ändern.
    Resigniert nickte sie Aaron zu. »Ja«, sagte sie leise. »Ich gehe.«
    Und sie drehte sich um und verließ die Intensivstation.
    Zwei Stunden später parkte Stewart Sussman seinen Wagen in der Tanner Avenue und betrachtete die Hausnummer 1451.
    Das Haus war von bescheidener Größe mit dunklen Fensterläden und einem kleinen Vorgarten. Ein weißer Holzzaun umgab das Grundstück. Obwohl es zu dunkel war, um etwas zu erkennen, sagten Sussmans Instinkte ihm, daß der Rasen ordentlich gemäht und die Blumenbeete frei von Unkraut waren. Ein feiner Rosenduft hing in der Luft.
    Sussman stieg aus dem Wagen, ging durch das Tor und die Stufen zur Veranda hinauf bis zur Haustür. Die Bewohner waren daheim. Licht brannte, und hinter den Vorhängen sah er Schatten, die sich bewegten.
    Er klingelte.
    Eine Frau kam an die Tür. Sie hatte ein müdes Gesicht, müde Augen, und ihre Schultern waren unter irgendeiner schrecklichen seelischen Last gebeugt. »Ja?« fragte sie.
    »Tut mir leid, daß ich störe. Mein Name ist Stewart Sussman.
    Ich wollte fragen, ob ich vielleicht kurz mit Mr. Joseph Terrio sprechen könnte?«
    »Er möchte im Moment mit niemandem sprechen. Wir hatten gerade einen … einen

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