Kalte Herzen
alles Erforderliche unternehmen, um das zu erreichen.«
In seiner achtjährigen Amtszeit als Präsident des Bayside-Hospitals hatte Jeremiah Parr schon diverse Krisen bewältigt. Er hatte zwei Schwesternstreiks, verschiedene Multimillionen-Dollar-Prozesse wegen ärztlicher Kunstfehler und militante, in der Lobby wütende Abtreibungsgegner überstanden. Doch noch nie hatte er eine dermaßen unverhohlene Wut gesehen, wie er sie jetzt im Gesicht von Victor Voss sah. Um zehn Uhr morgens war Voss flankiert von zwei seiner Anwälte in Parrs Büro marschiert und hatte eine Besprechung verlangt. Jetzt war es kurz vor Mittag, und die Konferenz war um die Teilnehmer Colin Wettig, Direktor der chirurgischen Assistenzarztausbildung, und Susan Cascade, die Anwältin des Bayside, erweitert worden. Sie hinzuzuziehen war Parrs Idee gewesen.
Bis jetzt waren juristische Mittel noch mit keinem Wort erwähnt worden, doch Parr konnte gar nicht vorsichtig genug sein. Vor allem im Umgang mit einem so mächtigen Mann wie Victor Voss.
»Meine Frau stirbt«, sagte Voss. »Verstehen Sie mich?
Sie stirbt.
Vielleicht überlebt sie die nächste Nacht nicht. Und dafür mache ich diese beiden Assistenzärztinnen direkt verantwortlich.«
»DiMatteo ist erst im zweiten Jahr ihrer Assistenzzeit«, sagte Wettig. »Sie hat die Entscheidung nicht getroffen. Das hat die leitende Assistenzärztin getan. Und Dr. Chao ist ab sofort nicht mehr Teilnehmerin unseres Ausbildungsprogramms.«
»Ich will, daß auch DiMatteo kündigt.«
»Aber sie hat ihre Kündigung nicht angeboten.«
»Dann finden Sie einen Grund, sie zu entlassen.«
»Dr. Wettig«, sagte Parr ruhig. »Wir müssen doch in der Lage sein, einen Anlaß für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu finden.«
»Dafür gibt es nicht die geringste Grundlage«, beharrte Wettig, der stur dagegenhielt. »Alle ihre Zeugnisse und Beurteilungen sind hervorragend und sämtlich aktenkundig. Ich weiß, daß dies eine schmerzliche Situation für Sie ist, Mr. Voss.
Es ist nur zu verständlich, daß man irgend jemandem die Schuld geben möchte. Aber ich glaube, ihr Zorn läuft in die falsche Richtung.
Das eigentliche Problem ist der Mangel an Organen. Tausende von Menschen brauchen neue Herzen, und es stehen immer nur ein paar zur Verfügung. Überlegen Sie, was passieren würde, wenn wir Dr. DiMatteo tatsächlich feuerten. Sie könnte klagen.
Die Sache würde höheren Orts erörtert. Man wird den Fall untersuchen und Fragen stellen. Zum Beispiel, warum ein siebzehnjähriger Junge das Herz nicht von Anfang an bekommen sollte.«
Es entstand eine Pause.
»Bloß das nicht«, murmelte Parr.
»Verstehen Sie, was ich sagen will?« fuhr Wettig fort. »Das sieht nicht gut aus. Es läßt das Krankenhaus schlecht dastehen.
So etwas wollen wir auf gar keinen Fall in der Zeitung lesen, Untertöne von Klassenkampf von wegen Benachteiligung der Armen. Genauso werden sie den Fall hochspielen, ungeachtet der Frage, ob es stimmt.« Wettig blickte fragend in die Runde.
Niemand sagte etwas. Unser Schweigen spricht Bände, dachte Parr.
»Natürlich dürfen wir nicht zulassen, daß ein falscher Eindruck entsteht«, betonte Susan. »So empörend der Vorwurf auch sein mag, selbst der Anschein von Organhandel würde unser Ansehen in der Öffentlichkeit ruinieren.«
»Ich sage nur, wie es von außen betrachtet aussehen könnte«, erklärte Wettig.
»Es ist mir egal, wie es aussieht«, beharrte Voss. »Sie haben dieses Herz gestohlen.«
»Es war eine empfängerbezogene Spende. Mr. Terrio hatte jedes Recht, die Person des Empfängers zu bestimmen.«
»Dieses Herz wurde meiner Frau garantiert.«
»Garantiert?« Wettig blickte stirnrunzelnd zu Parr. »Gibt es etwas, wovon ich nichts weiß?«
»Es wurde vor ihrer Aufnahme entschieden«, sagte Parr. »Die Kreuzprobe war perfekt.«
»Die des Jungen auch«, entgegnete Wettig.
Voss sprang auf. »Ich möchte Ihnen allen mal was erklären: Meine Frau stirbt wegen Abby DiMatteo. Sie kennen mich nicht besonders gut, meine Damen und Herren, aber lassen Sie sich eines gesagt sein: Niemand hintergeht mich oder meine Familie ungestraft –«
»Mr. Voss«, unterbrach einer seiner Anwälte. »Vielleicht sollten wir das lieber unter –«
»Lassen Sie mich
ausreden,
verdammt noch mal!«
»Bitte, Mr. Voss. Das ist nicht in Ihrem Interesse.«
Voss starrte seinen Anwalt wütend an. Mit sichtbarer Anstrengung brach er seine Tirade ab und setzte sich wieder.
»Ich möchte,
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