Kalte Herzen
könnte das Fieber verursachen.«
»Das ist eine Möglichkeit. Aber bei Steroiden und Cyclosporin eher unwahrscheinlich.«
»Ich konnte keinen Entzündungsherd finden. Nirgendwo.«
»Wenn wir bei ihrer Immunsuppression etwas übersehen, ist sie tot.« Er wandte sich ab, um erneut das Krankenblatt zur Hand zu nehmen. »Ich packe den Breitband-Hammer aus.«
Um sechs Uhr morgens floß die erste intravenöse Dosis Antibiotika in Ninas Adern. Eine Besprechung mit dem leitenden Arzt der Infektionsabteilung wurde gefordert, und um Viertel nach sieben traf Dr. Moore ein. Er stimmte Marks Entscheidung zu. Ein Fieber bei einer Patientin mit Immunsuppression war zu gefährlich, um nicht behandelt zu werden.
Um acht Uhr wurde ein zweites Antibiotikum injiziert.
Mittlerweile machte Abby ihre Morgenvisite auf der chirurgischen Intensivstation. Auf dem Rollwagen stapelten sich die Krankenblätter. Es war eine schlimme Bereitschaftsnacht gewesen. Vor dem Anruf um zwei Uhr nachts hatte sie nur eine Stunde geschlafen und seither keinen Moment Pause gehabt.
Aufgeputscht von zwei Tassen Kaffee und der Aussicht auf Feierabend schob sie den Wagen von Bett zu Bett und dachte: In vier Stunden bin ich hier raus. Nur noch vier Stunden bis Mittag.
Sie kam an Zimmer Nr. fünfzehn vorbei und blickte durch das Sichtfenster.
Nina war wach. Sie sah Abby und brachte ein schwaches Winken zustande.
Abby ließ die Krankenblätter vor der Tür stehen, zog sich einen sterilen Kittel über und betrat das Zimmer.
»Guten Morgen, Dr. DiMatteo«, murmelte Nina. »Ich fürchte, Sie haben wegen mir nicht viel Schlaf bekommen.«
Abby lächelte. »Das ist schon in Ordnung. Ich habe letzte Woche geschlafen. Wie fühlen Sie sich?«
»Im Mittelpunkt einer Menge Aufmerksamkeit.« Nina blickte zu dem Infusionsbehälter mit Antibiotika, der über ihrem Bett hing. »Ist das die Heilung?«
»Wir hoffen es. Sie bekommen eine Kombination aus Piperacillin und Azathriopin. Es sind Breitband-Antibiotika.
Wenn Sie eine Entzündung im Körper haben, sollte die damit zum Stillstand gebracht werden.«
»Und wenn es keine Entzündung ist?«
»Dann wird das Fieber nicht reagieren, und wir werden etwas anderes probieren.«
»Das heißt, Sie wissen nicht genau, was das Fieber auslöst?«
Abby zögerte. »Nein«, gab sie dann zu. »Das wissen wir nicht.
Es ist mehr ein fachkundiger Schuß ins Ungefähre.«
Nina nickte. »Ich habe mir gedacht, daß Sie mir die Wahrheit sagen würden, im Gegensatz zu Dr. Archer. Er war heute morgen hier und hat mir in einem fort versichert, ich müßte mir keine Sorgen machen. Daß man sich um alles kümmern werde.
Er hat mit keinem Wort zugegeben, daß er es nicht genau wußte.«
Nina lachte leise, als ob das Fieber, die Antibiotika und all die Schläuche und Maschinen allesamt Teil einer wunderlichen Illusion waren.
»Ich bin sicher, er wollte nur, daß Sie sich keine Sorgen machen«, beteuerte Abby.
»Aber die Wahrheit macht mir keine Angst, wirklich nicht.
Die Ärzte sagen oft genug nicht die Wahrheit.« Sie sah Abby direkt an. »Das wissen wir beide.«
Abby ertappte sich dabei, wie ihr Blick unwillkürlich zu den Monitoren gewandert war. Sie sah, daß alle Kurven auf dem Bildschirm im Normalbereich lagen. Der Blutdruck, der Druck im rechten Vorhof. Es war schiere Gewohnheit, diese Fixierung auf Zahlen. Maschinen stellten keine schwierigen Fragen und erwarteten auch keine schmerzhaft ehrlichen Antworten.
Sie hörte Nina leise sagen: »Victor.«
Abby drehte sich um. Erst als sie zur Tür blickte, erkannte sie, daß Victor Voss das Zimmer eben betreten hatte.
»Raus«, befahl er. »Verschwinden Sie aus dem Zimmer meiner Frau.«
»Ich habe nur nach ihr gesehen.«
»Ich sagte raus!« Er machte einen Schritt auf sie zu und packte sie an ihrem Kittel.
Instinktiv wehrte Abby sich und riß sich los. Das Zimmer war so winzig, daß sie nicht weiter zurückweichen konnte.
Er stürzte auf sie zu. Diesmal packte er ihren Arm ganz offensichtlich mit der Absicht, ihr weh zu tun.
»Nicht, Victor!« sagte Nina.
Abby schrie auf, als sie nach vorn gerissen wurde. Er stieß sie aus dem Zimmer. Die Wucht seines Stoßes ließ sie rückwärts gegen den Rollwagen taumeln. Der Wagen setzte sich in Bewegung, und sie spürte, wie sie den Halt verlor und auf dem Boden landete. Der Wagen rollte immer noch weiter, bis er gegen den Tresen stieß und die Krankenblätter zu Boden fielen.
Abby blickte überrascht und benommen auf und sah Victor
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