Kalte Herzen
Unterlagen fragen. Ich bin sicher, sie sind irgendwo.«
»Mark, da ist noch etwas! Ich habe das Spender-Krankenhaus angerufen. Es gibt dort keinen Chirurgen namens Leonard Mapes. Es gibt in ganz Burlington keinen Chirurgen, der so heißt.«
Sie machte eine Pause und fügte leise hinzu: »Wissen wir wirklich, woher dieses Herz kommt?«
Mark antwortete nicht. Er schien zu benommen, zu müde, um klar zu denken. Es war Viertel nach vier. Nach Abbys Anruf hatte er sich aus dem Bett gekämpft und war in die Klinik gefahren. Ein postoperatives Fieber mußte unverzüglich behandelt werden, und obwohl er Abbys Befunden vertraute, hatte er die Patientin persönlich untersuchen wollen. Jetzt saß Mark im Halbdunkel der chirurgischen Intensivstation und versuchte, aus Nina Voss’ Krankenakte schlau zu werden. Auf dem Tisch vor ihm stand eine Reihe von Herz-Monitoren, und drei zuckende grüne Linien spiegelten sich in seinen Brillengläsern wieder. Die Schwestern bewegten sich wie Schatten durch das Halbdunkel und sprachen gedämpft.
Mark klappte die Krankenakte zu, nahm seufzend die Brille ab und rieb sich die Augen. »Dieses Fieber! Was verursacht nur das Fieber? Das macht mir wirklich Sorgen.«
»Könnte es eine vom Spender übertragene Infektion sein?«
»Unwahrscheinlich. So etwas habe ich bei einem Herz noch nie gesehen.«
»Aber wir wissen nichts über den Spender oder seine Krankengeschichte. Wir wissen nicht einmal, aus welchem Krankenhaus das Herz gekommen ist.«
»Abby, du verrennst dich da in was. Ich weiß, daß Archer mit einem der Chirurgen bei der Entnahme telefoniert hat. Und ich weiß auch, daß es Unterlagen gibt. Sie waren in einem braunen Umschlag.«
»An den erinnere ich mich auch.«
»Na also. Dann haben wir ja beide dasselbe gesehen.«
»Und wo ist der Umschlag jetzt?«
»Meine Liebe, ich war der operierende Chirurg. Ich hatte die Hände bis zu den Ellenbogen in Blut. Da kann ich mich doch nicht auch noch um einen blöden Umschlag kümmern!«
»Wieso überhaupt die ganze Heimlichtuerei um den Spender?
Wir haben keinerlei Unterlagen, wir wissen nicht einmal seinen Namen.«
»Das ist das übliche Verfahren. Spenderinformationen sind vertraulich. Sie werden immer getrennt von den Empfängerunterlagen aufbewahrt. Sonst würden die Familien miteinander Kontakt aufnehmen. Die Seite der Spender würde ewige Dankbarkeit erwarten, und die Empfänger würden sich belästigt oder schuldig fühlen. Das führt nur zu einem riesigen emotionalen Durcheinander.« Er ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. »Mit dem Thema verschwenden wir nur unsere Zeit. In ein paar Stunden hat sich alles geklärt. Wir sollten uns lieber auf das Fieber konzentrieren.«
»Na gut. Aber wenn es irgendwelche Fragen gibt, wird die New England Organ Bank mit dir darüber sprechen wollen.«
»Wie kommt denn die NEOB ins Spiel?«
»Ich habe sie angerufen. Sie haben eine rund um die Uhr besetzte Hotline. Ich habe ihnen gesagt, daß du sie zurückrufst.
Oder Archer.«
»Darum kann sich Archer kümmern. Er muß jeden Moment hiersein.«
»Er kommt auch?«
»Er macht sich Sorgen wegen des Fiebers. Aaron ist offenbar nicht zu erreichen. Hast du ihn noch mal angepiept?«
»Dreimal. Aber ich habe keine Antwort bekommen. Elaine hat mir gesagt er wäre zum Krankenhaus gefahren.«
»Na, er muß auch hier angekommen sein. Ich habe auf dem Parkplatz seinen Wagen gesehen. Vielleicht ist er auf der Medizinischen beschäftigt.« Mark blätterte Ninas Krankenakte durch, bis er zu dem Verordnungsbogen kam. »Ich werde ohne ihn entscheiden.«
Abby warf einen Blick zu Nina Voss’ Bett. Die Augen der Patientin waren geschlossen, ihre Brust hob und senkte sich im sanften Rhythmus des Schlafes.
»Ich fange mit Antibiotika an«, sagte Mark. »Breitband.«
»Welche Infektion willst du behandeln?«
»Ich weiß nicht. Es ist nur eine Übergangslösung, bis die Kulturen fertig sind. Solange sie so massiv mit Immunsuppressiva behandelt wird, können wir auf keinen Fall eine Infektion riskieren.« Mark sprang frustriert von seinem Stuhl auf und trat an das Sichtfenster, wo er einen Moment stehenblieb und Nina Voss anstarrte. Ihr Anblick schien ihn zu beruhigen. Abby trat neben ihn. Sie standen so dicht beieinander, daß sie sich fast berührten, doch die Kluft dieser Krise trennte sie. Auf der anderen Seite des Fensters schlief Nina Voss.
»Es könnte eine Reaktion auf die Medikamente sein«, meinte Abby. »Sie bekommt so viele, und jedes
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