Kalte Herzen
wenn die ganze Geschichte irgendwie herumgedreht wird, so daß es am Ende aussieht, als wären wir Teil der Verschwörung? Wir würden unsere Glaubwürdigkeit als Transplantationszentrum verlieren. Falls sich herausstellt, daß Voss tatsächlich das Meldesystem für Spenderorgane umgangen hat, würden auch wir in ein schlechtes Licht gerückt.«
Abby sah Archer an, der von diesen Aussichten wie benommen wirkte. Diese Affäre konnte das ganze Transplantationszentrum am Bayside ruinieren. Sie konnte das Team zerstören.
»Wieviel von alldem ist bereits nach außen gesickert?« wollte Parr wissen und sah dabei endlich auch Abby an. »Was haben Sie der NEOB über die Sache erzählt, Dr. DiMatteo?«
»Als ich mit Helen Lewis gesprochen habe, wußte ich nicht, was los war. Wir wußten es beide nicht. Wir waren bloß versucht, uns einen Reim darauf zu machen, warum der Spender nicht durch das System gegangen war. Dabei haben wir es belassen. Es blieb ungeklärt. Direkt nach dem Anruf habe ich Dr. Archer und Dr. Wettig informiert.«
»Und Hodell. Sie müssen es doch Hodell erzählt haben!«
»Ich habe noch nicht mit Mark gesprochen. Er war den ganzen Tag im OP.«
Parr seufzte erleichtert. »In Ordnung. Das heißt, die Geschichte hat diesen Raum noch nicht verlassen. Und Mrs. Lewis weiß nur, daß Sie nicht genau wissen, was passiert ist.«
»So ist es.«
Auch Susan Casado wirkte erleichtert. »Wir haben also noch eine Chance, den Schaden zu begrenzen. Ich denke, als erstes sollte Dr. Archer die NEOB anrufen und Mrs. Lewis versichern, daß wir das Mißverständnis aufgeklärt haben. Es besteht immerhin die Möglichkeit, daß sie sich damit zufriedengibt.
Wir werden weitere Ermittlungen anstellen, aber diskret. Wir sollten auch weiter versuchen, Dr. Nicholls zu erreichen.
Vielleicht kann er die Sache aufklären.«
»Offenbar weiß niemand, wann er zurückkommt«, sagte Archer.
»Was ist mit dem anderen Chirurgen?« fragte Susan. »Dem Typ aus Texas?«
»Mapes? Ich habe noch nicht versucht, ihn zu erreichen.«
»Irgend jemand sollte es aber tun.«
»Da bin ich anderer Meinung«, unterbrach Parr sie. »Ich denke nicht, daß wir in dieser Angelegenheit mit irgend jemandem Kontakt aufnehmen sollten.«
»Aus welchem Grund, Jeremiah?«
»Je weniger wir wissen, desto weniger werden wir in den Sumpf verwickelt. Wir sollten uns meilenweit entfernt davon halten.
Sagen Sie Helen Lewis, es hätte sich um eine empfängerbezogene Spende gehandelt. Deswegen sei die Sache nicht über die NEOB gelaufen. Und dann machen wir einfach weiter.«
»Mit anderen Worten«, bemerkte Wettig, »wir stecken unsere verdammten Köpfe in den Sand.«
»Nichts Böses sehen und nichts Böses hören.« Parr blickte in die Runde. Den Mangel an Reaktionen schien er für ein Zeichen allgemeinen Einverständnisses zu halten. »Es erübrigt sich zu sagen, daß wir die Angelegenheit außerhalb dieses Raumes mit keinem Wort erwähnen.«
Abby jedoch konnte dazu nicht schweigen. »Das Problem ist«, warf sie ein, »daß das Böse dadurch nicht verschwindet. Egal, ob wir es sehen und hören oder auch nicht, es ist immer noch da.«
»Bayside ist unschuldig«, beharrte Parr. »Deshalb sollten nicht wir die Sache büßen müssen. Und wir sollten ganz bestimmt nicht zu einer unfairen Betrachtung unserer Klinik einladen.«
»Was ist mit der moralischen Verpflichtung? Es könnte wieder passieren.«
»Ich bezweifle doch sehr, daß Mrs. Voss in absehbarer Zeit ein weiteres Herz braucht. Es war ein Einzelfall, Dr. DiMatteo. Ein verzweifelter Ehemann hat die Regeln mißachtet, um seine Frau zu retten. Der Fall ist erledigt. Wir müssen nur Maßnahmen ergreifen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann.«
Parr sah Archer an. »Können wir das?«
Archer nickte. »Das müssen wir, verdammt noch mal.«
»Was geschieht mit Victor Voss?« fragte Abby. Das nachfolgende Schweigen war beredter als jede Antwort: Gar nichts würde mit ihm geschehen. Männern wie Victor Voss passierte nie etwas. Sie konnten das System austricksen, sich ein Herz, einen Chirurgen, ein ganzes Krankenhaus kaufen. Sie konnten sich auch Anwälte kaufen, eine ganze Armee, genug um von den Träumen einer kleinen Assistenzärztin nichts als verbrannte Erde übrigzulassen.
»Er will mich fertigmachen«, sagte sie. »Ich dachte, nach der Transplantation für seine Frau würde sich die Sache legen, aber das ist nicht der Fall. Er hat Schweinedärme in mein Auto gelegt. Er hat zwei Klagen
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