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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»Dich fragen, ob du mich heiraten willst.«
    Sie starrte ihn an, unfähig, ein Wort herauszubringen, aber so überglücklich, daß sie glaubte, er müsse die Antwort in ihren Augen lesen. Sie war sich auf einmal jeder Einzelheit freudig bewußt. Sie spürte seine Hände, die ihre Wangen wärmten, sah sein müdes und nicht mehr ganz junges Gesicht, das ihr deswegen um so lieber war.
    »Vor ein paar Abenden wußte ich auf einmal, daß es das ist, was ich will«, sagte er. »Du hattest Bereitschaft, und ich saß zu Hause und aß mein Abendessen aus einem Imbißkarton. Als ich ins Bett ging, sah ich deine Sachen auf der Kommode liegen.
    Deine Bürste, deinen Schmuck, diesen BH, den du offenbar nie wegräumst.« Er lachte leise, und sie stimmte ein. »Jedenfalls wußte ich da, was ich wollte. Ich wollte nie wieder irgendwo leben, ohne daß deine Sachen auf meiner Kommode liegen. Ich glaube nicht, daß ich das könnte. Jedenfalls jetzt nicht mehr.«
    »O Mark.«
    »Das Verrückte ist, daß du fast nie zu Hause bist. Und wenn du zu Hause bist, bin ich nicht da. Manchmal winken wir uns auf dem Flur kurz zu oder halten im Aufzug Händchen, wenn wir Glück haben. Wichtig ist nur, daß ich weiß: Wenn ich nach Hause komme, werden deine Sachen auf der Kommode liegen.
    Ich weiß, du warst da und du wirst wiederkommen. Und das ist genug.«
    Mit Tränen in den Augen blickte sie in sein lächelndes Gesicht und spürte, wie sein Herz pochte, als hätte er Angst. »Und was meinen Sie, Dr. DiMatteo?« flüsterte er. »Kriegen wir in unserem engen Terminplan eine Hochzeit unter?«
    Halb schluchzend, halb lachend, antwortete sie: »Ja. Ja, ja, ja!«
    Sie richtete sich auf und rollte sich auf ihn, ihr Mund suchte seinen. Küssend und lachend hörten sie, wie laut die Matratzenfedern quietschten. Das Bett war viel zu klein, um zu zweit darin zu schlafen.
    Um miteinander zu schlafen, war es gerade richtig.
    Sie war einmal ein hübsches Mädchen gewesen. Manchmal, wenn Mary Allen ihre Hände betrachtete und die Falten und Altersflecken sah, fragte sie sich verwundert: Wessen Hände sind das? Die einer Fremden, gewiß, einer alten Frau. Nicht meine Hände, die Hände der hübschen Mary Hatcher. Der Anflug von Verwirrung legte sich meist schnell wieder, sie sah sich in dem Krankenhauszimmer um und erkannte, daß sie wieder geträumt hatte. Kein echter Traum, wie man ihn hatte, wenn man wirklich schlief, sondern eine Art Nebel, der durch ihr Gehirn trieb und dort blieb, selbst wenn sie wach war. Es war das Morphium. Sie war dankbar für das Morphium. Es ließ sie die Schmerzen vergessen und öffnete ein geheimes Tor in ihrem Kopf, durch das Bilder und Erinnerungen eines Lebens strömten, das jetzt fast zu Ende war. Sie hatte gehört, daß manche das Leben als Kreis beschreiben, in dem man zu dem Punkt des Anfangs zurückkehrte, aber ihr Leben erschien ihr nicht annähernd so geordnet. Es war mehr wie ein Wandteppich aus widerspenstigen Fäden, einige gerissen, andere verworren, manche gerade und wahr.
    Und aus so vielen, vielen Farben gewebt.
    Sie schloß die Augen, und das geheime Tor ging auf. Ein Weg zum Meer, Hecken von rosafarbenen, süßlich duftenden Strandrosen. Warmer Sand unter ihren Zehen. Wellen, die in der Bucht plätscherten. Das wohlige Gefühl von Händen, die ihren Körper eincremten.
    Geoffreys Hände.
    Das Tor ging noch weiter auf, und er trat ein, ein vollkommen intaktes Bild der Erinnerung. Nicht so, wie er an dem Strand war, sondern so, wie sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, als er sich ihr lachend zuwandte, in seiner Uniform, das Haar zerzaust.
    Das erste Mal, daß sie sich angesehen hatten. Es war auf einer Straße in Boston gewesen. Sie trug einen Beutel mit Einkäufen und sah vom Scheitel bis zur Sohle aus wie eine tüchtige Hausfrau auf dem Weg nach Hause, um ihrem Mann sein Abendessen zu kochen. Ihr Kleid war von einem besonders häßlichen Braunton gewesen. Es war Krieg, und man mußte sich mit dem zufriedengeben, was es in den Läden gab. Sie hatte ihr Haar nicht hochgesteckt, und der Wind hatte es zu einer hexenartigen Mähne zerzaust. Sie fand, daß sie ziemlich schrecklich aussah. Doch da war dieser junge Mann, der sie anlächelte, und dessen Blick ihr folgte, als sie auf dem Bürgersteig an ihm vorbeiging.
    Am nächsten Tag war er erneut da, und sie sahen sich wieder an, nicht wie Fremde, sondern schon vertrauter.
    Geoffrey, ein weiterer verlorener Faden. Nicht einer, der ausfranste und dünner wurde, bis

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