Kalte Herzen
gegen mich initiiert, und weitere sind unterwegs, da bin ich sicher. Es fällt mir schwer, nichts Böses zu sehen und nichts Böses zu hören, wenn er zu solchen Methoden greift.«
»Können Sie beweisen, daß Voss hinter all diesen Dingen steckt?« fragte Susan.
»Wer sollte es sonst sein?«
»Dr. DiMatteo«, sagte Parr. »Der Ruf dieses Krankenhauses steht auf dem Spiel. Es ist wichtig, daß wir alle als Team an einem Strang ziehen. Auch Sie. Das ist schließlich auch Ihr Krankenhaus.«
»Und was, wenn es trotzdem rauskommt? Wenn es auf der Titelseite des
Globe
landet? Man wird Bayside Vertuschung vorwerfen, und die ganze Geschichte fliegt Ihnen um die Ohren.«
»Deswegen darf die Kenntnis darüber diesen Raum nicht verlassen«, betonte Parr.
»Sie könnte trotzdem durchsickern.« Abby reckte das Kinn.
»Wahrscheinlich sogar.«
Parr und Susan tauschten nervöse Blicke.
»Das ist ein Risiko«, erklärte Susan, »mit dem wir leben müssen.«
Abby streifte ihren OP-Kittel ab, warf ihn in den Wäschekorb und stieß die Doppeltür auf. Es war fast Mitternacht. Der Patient, das Opfer einer Messerstecherei, lag im Aufwachraum, die postoperativen Anweisungen wurden von einem Medizinalassistenten gegeben, und die Notaufnahme meldete Ruhe an der Front.
Abby war sich nicht sicher, ob ihr die Pause wirklich willkommen war. Sie ließ ihr zu viel Zeit, um darüber zu grübeln, was auf dem Treffen am Nachmittag besprochen worden war.
Das wäre die einzige Chance, mich zu wehren, und ich soll es nicht, dachte sie. Nicht, wenn ich im Team mitspielen will.
Nicht, wenn mir die Interessen von Bayside am Herzen liegen.
Und auch ihre eigenen Interessen. Daß man sie nach wie vor als Mitglied des Teams behandelte, war ein gutes Zeichen. Es bedeutete, daß sie noch immer die Chance hatte, hier zu bleiben und ihre Facharztausbildung abzuschließen. Es lief auf einen Handel mit dem Teufel hinaus. Sie würde den Mund halten und ihren Traum weiter träumen. Wenn Victor Voss sie ließ.
Wenn ihr Gewissen sie ließ.
Im Laufe des Abends war sie mehrere Male kurz davor gewesen, den Hörer abzunehmen und Helen Lewis anzurufen.
Das war alles, was erforderlich war. Ein einziger Anruf, und die NEOB war im Bilde. Ein einziger Anruf, um Victor Voss bloßzustellen. Auf dem Weg zurück in den Bereitschaftsraum brütete sie noch immer darüber, was sie tun sollte. Sie schloß die Tür auf und betrat das Zimmer.
Noch bevor sie das Licht eingeschaltet hatte, fiel ihr der Duft auf, ein Duft von Rosen und Lilien. Sie knipste die Lampe an und starrte verwundert auf die Vase mit Blumen auf dem Schreibtisch.
In ihrem Rücken hörte sie das Geraschel von Laken und drehte sich um. »Mark?« fragte sie.
Er schreckte überrascht hoch. Einen Moment lang schien er nicht zu wissen, wo er war, doch als er Abby sah, lächelte er.
»Happy Birthday!«
»Den hab’ ich total vergessen!«
»Ich nicht«, sagte er.
Sie ging zum Bett und setzte sich neben ihn. Er war in seiner OP-Kleidung eingeschlafen, und als sie sich zu ihm herabbeugte, roch sie den vertrauten Geruch von Betadine und Erschöpfung. »Autsch. Du könntest dich mal wieder rasieren.«
»Erst brauche ich noch einen Kuß.«
Sie lächelte und küßte ihn erneut. »Wie lange bist du schon hier?«
»Wie spät ist es denn?«
»Mitternacht.«
»Zwei Stunden.«
»Du hast seit zehn Uhr hier gewartet?«
»Ich hatte das eigentlich nicht so geplant. Aber ich bin wohl eingeschlafen.« Er rutschte zur Seite, um auf der schmalen Liege Platz für sie zu machen. Sie zog ihre Schuhe aus und legte sich neben ihn. Sofort fühlte sie sich von der Wärme des Bettes und des Mannes geborgen. Sie erwog kurz, ihm von dem Treffen am Nachmittag und der zweiten Klage zu erzählen, doch sie wollte über nichts von alldem reden. Sie wollte nur in den Armen gehalten werden.
»Tut mir leid, daß ich den Kuchen vergessen habe«, meinte er.
»Ich kann nicht glauben, daß ich meinen eigenen Geburtstag vergessen habe. Vielleicht wollte ich ihn auch vergessen. Schon achtundzwanzig!«
Lachend legte er seinen Arm um sie. »Eine klapprige alte Dame.«
»Ich fühle mich alt, vor allem heute abend.«
»Na, dann fühle ich mich uralt.« Er küßte sie sanft auf das Ohr.
»Und ich werde auch nicht jünger. Vielleicht ist es also an der Zeit.«
»An der Zeit wofür?«
»Etwas zu tun, was ich schon vor Monaten hätte tun sollen.«
»Und das wäre?«
Er faßte ihr Kinn und drehte ihr Gesicht sanft in seine Richtung.
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