Kalte Macht: Thriller (German Edition)
mehr von der Hoffnung zehren, als es vielleicht richtig ist. Aber wir tun ja auch alles, damit es gelingt. Dann ist es keine Lüge, sondern nur eine zeitliche Verschiebung. Du kannst doch auch sagen, ich spende hundert Euro – und sie dann spenden. Niemand erwartet von dir, dass du erst spendest und es dann sagst.«
»Vielleicht muss ich es gar nicht sagen, weil ich weiß, dass es richtig ist und dass es vor allem darauf ankommt, dass ich es tue.« Henrik stand auf. »Du klingst schon längst wie einer dieser Polittechnokraten, über die du früher geschimpft hast. Ich …« Henrik Eusterbeck hielt inne, lauschte seinen eigenen Worten nach, ließ sie im Raum stehen und schwieg. Nach einer Weile stand Natascha hinter ihm und fuhr ihm behutsam mit den Fingerspitzen über die Arme, um schließlich ihre Hände in seine gleiten zu lassen. »Ich verstehe dich«, sagte sie. »Und weißt du, das ist der wichtigste Grund, weshalb ich die Idee der Kanzlerin gut finde: Wir sollten zusammenarbeiten. Dann sehen wir uns öfter. Dann kannst du sagen, was du denkst, ehe es geschehen ist. Dann sind wir wieder mehr beieinander.« Sie unterbrach sich.
Henrik spürte, dass dieses Projekt ein einziges Himmelfahrtskommando war. »Zwei Leute, Natti, zwei. Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Wie sollen wir beide diesen Dschungel durchblicken? Ich meine, hey, bei den Geheimdiensten beschäftigen sie für solche Aufgaben ganze Stäbe!«
»Henry.« Er konnte hören, wie sich plötzlich Tränen in ihre Stimme schlichen. »Wir leben uns auseinander, wenn wir nicht endlich wieder mehr Zeit miteinander verbringen. Bitte, Henry. Mach es. Du musst es nicht für sie tun. Tu es für mich. Lass mich nicht allein in diesem Haifischbecken.«
Henrik Eusterbeck drehte sich um und nahm seine Frau in die Arme. Doch, er mochte sie, immer noch. Sehr sogar. Er schloss seine Arme fest um sie, und sie fühlte sich immer noch gut an. Er seufzte. »Okay«, sagte er. »Ich bin dabei. Wenn du meinst, dass ich das kann und dass das irgendetwas bringt, mache ich mit. Aber zuerst musst du dich mit einem Profi unterhalten. Sonst machen wir uns beide lächerlich.«
Natascha nickte. »Danke«, sagte sie und zog die Nase hoch. »Meinst du, ich sollte heute Mittag mit unserem Fraktionsvize sprechen?«
»Nein. Vertrau dich diesen Leuten nicht an. Sprich mit deinem Vater.«
Das hatte sie längst getan. Nur in all dem Stress und der Überforderung der ersten Tage im Amt nicht die Gelegenheit gefunden, Henrik davon zu erzählen. Sie nickte. »Mache ich.«
Königstein/Taunus, Herrnwaldstraße, 31.10.1989, 8:36:40 Uhr.
Nach etwa zweihundert Metern knickt die Herrnwaldstraße in einer scharfen Rechtskurve ab, während auf gerader Strecke die Fuchstanzstraße eine Schleife von etwa fünfhundert Metern beschreibt. Der vorausfahrende Wagen fährt geradeaus. Die Fahrzeuge zwei und drei biegen rechts ab Richtung Theresenstraße. Dort, spätestens auf der Limburger Straße, soll Fahrzeug eins wieder aufschließen und den Abschluss des Konvois bilden.
Dr. Albert Ritter ist unkonzentriert, sieht immer wieder von seinem Papier auf. Er steckt die Unterlagen wieder in seine Aktentasche, offenbar will er auf der Fahrt nun doch nicht arbeiten. Tagelang hat er an der Formulierung gefeilt, noch länger mit sich gerungen, ob er wirklich zu diesem großen Schritt bereit ist. Seine Frau hat ihn beschworen, zuerst, dass er nicht aufgeben dürfe, dann, dass er einen Schlussstrich ziehen solle. Sie hat Angst. Er auch. Doch er hat auch Angst vor dem entscheidenden Schritt. Immer wieder hat er überlegt, was es für ihn bedeuten würde, wenn er zurückträte, aber auch welche Konsequenzen es für seine Mitarbeiter und Weggefährten hätte. Und für die ganze Welt. Ja, tatsächlich kann seine Entscheidung für Millionen von Menschen eine Katastrophe bedeuten, kann sein Rücktritt bewirken, dass einige wenige sagenhaft Reiche noch reicher, ganze Nationen aber ruiniert werden. »Wie lange arbeiten Sie jetzt schon für mich, Eck?«
»Im Januar werden es zwanzig Jahre sein, Herr Dr. Ritter.«
»Das ist eine lange Zeit. Da haben Sie einiges mitgemacht.«
Eck sieht in den Rückspiegel, sucht den Augenkontakt zu seinem Chef. Doch Albert Ritter blickt aus dem Fenster. »Ich arbeite gerne für Sie, Herr Dr. Ritter.«
»Das hoffe ich, Eck. Wissen Sie, Sie gehören ja längst zur Familie.« Nun schaut er doch kurz auf, weil er weiß, dass Eck mit einem Auge den Rückspiegel im Blick hat, wenn er mit
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