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Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Kalte Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Faber
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Schlaf aus Erschöpfung. Und diese Erschöpfung kam nicht daher, dass sie sich mit ihm so verausgabt hatte. Es war vielmehr die Politik. Die Politik fraß sie auf. Inzwischen sahen sie sich fast gar nicht mehr. Wenn Henrik in der Stadt war, dann kam sie meist so spät nach Hause, dass er längst schlief – oder er war ausgegangen, um außer Haus zu essen. Natürlich ohne sie. Denn sie war ja zu vernünftigen Zeiten unabkömmlich. Das hatte in der Mecklenburger Staatskanzlei begonnen, jetzt im Kanzleramt ging es weiter. Und Henrik machte sich nichts vor: Es würde noch viel schlimmer werden. Morgens, wenn sie aufstand, um schnell ins Büro zu kommen, schlief er längst noch. Aber selbst wenn er nicht schlief, stellte er sich schlafend. Denn wenn er aufstand, dann stritten sie sich sowieso meistens. Das heißt, er stritt sich. Und Natti versuchte, ihn zu vertrösten, ihn zu beschwichtigen, vernünftig zu sein. »Scheiße«, fluchte er leise. Von unten sah einer der Jugendlichen zu ihm hoch, als hätte er es gehört, und grinste ihn ausgiebig an.
    Von hinten fuhr ihm eine Hand über die Brust. »Du bist schon wach?«
    »Ich konnte nicht schlafen.«
    »Komm doch noch mal ins Bett.«
    »Hast du denn überhaupt noch Zeit? Es ist doch schon mitten in der Nacht.« Er wollte nicht so ätzend klingen, aber er konnte es nicht unterdrücken. »Da musst du doch sicher bald los.«
    Natti schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie: »Stimmt. Schlafen lohnt sich nicht mehr. Lass uns zusammen frühstücken. Das tun wir viel zu selten.« Sie ließ ihn los und ging ins Badezimmer, machte Licht. Henrik konnte ihr Spiegelbild vor der dunklen Fensterscheibe sehen, wie sie sich, noch nackt, vor das Waschbecken stellte, mit zwei, drei Handgriffen einen lockeren Pferdeschwanz drehte, sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht spritzte, um dann hinter der Tür zu verschwinden. Wenig später ging die Toilettenspülung. Er spürte, wie sich seine Erregung wieder meldete, drehte sich um und sammelte seine Kleidung zusammen, um sich etwas anzuziehen.
    »Und«, fragte er, als er neben ihr am Kaffeeautomaten stand, den er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. »Wie sieht dein Tag heute aus?«
    »Kleine Lage um acht, Innenausschuss um elf, um dreizehn dreißig Mittagessen mit dem Fraktionsvize, danach eine Schule im Wedding, um siebzehn Uhr Termin bei der Kanzlerin, siebzehn dreißig …« Sie hielt inne … »Verdammt. Was war um siebzehn dreißig?«
    »Warum gehst du nachmittags in eine Schule? Sind da überhaupt noch Kinder da?«
    »Es geht nur um einen Fototermin. Freie Schulkost. Da muss ich mich mit der Kantinenleiterin ablichten lassen und eine kleine Rede halten.«
    »Für wen? Für das Kantinenpersonal?«
    »Auch. Vor allem für die Bundestagsdebatte zur Bildungspolitik. Da bin ich als Innenausschussmitglied gefragt.«
    »Dann halte deine Rede doch da.« Er nahm genervt seinen Kaffee und setzte sich an den Tisch, stand wieder auf, machte Licht, setzte sich wieder. Natascha gab zwei Löffel Zucker in ihre Tasse, machte die Maschine aus, löschte das Licht wieder und setzte sich zu ihm. »Lass es aus«, sagte sie. »So ist es schöner.«
    »Sprach die Nachteule.«
    Sie überhörte seinen Zynismus. »Wenn ich heute den Auftritt in der Schule habe, kann ich nächste Woche darauf Bezug nehmen. Ich kann sagen: Letzte Woche habe ich eine Schule im Wedding besucht und festgestellt, dass unsere Maßnahmen längst greifen. Na ja und so weiter …«
    »Und so weiter«, echote Henrik und schob den Kaffee von sich weg. »Wenn die Maßnahmen griffen, dann wüssten das doch alle, oder? Also geht es nur darum, dem Bundestag was vorzulügen. Den Bürgern!«
    Natascha nahm einen Schluck Kaffee, sah ihren Mann über die Tasse hinweg eine Weile schweigend an, beugte sich dann nach vorn und nahm seine Hand. »Henry, ich weiß, dass du frustriert bist. Das ist alles nicht einfach. Für mich doch auch nicht …«
    »Da bin ich nicht so sicher. Für mich sieht es eher so aus, als würdest du in deiner Aufgabe völlig aufgehen.«
    »Aber daran ist doch nichts Schlechtes, oder? Immerhin geht es um die Menschen!«
    »Deshalb besuchst du ja auch die Schule, wenn keine Schüler mehr da sind, und belügst die Volksvertreter im Parlament.«
    »Nein, Henry, das tue ich nicht. Politik kann nicht funktionieren, wenn man nicht auch dafür sorgt, dass sie ankommt, dass die Menschen sie verstehen. Dazu gehört, dass wir auch mal ein Fotoshooting machen oder ein bisschen

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