Kalte Macht: Thriller (German Edition)
hatte.«
»Dann bin ich ja beruhigt. Es ist doch immer gut zu wissen, dass eine sensible Sache in guten Händen ist. Und Sie haben alle Unterlagen in Sicherheit gebracht?«
Jäger nickte.
»Vernichten Sie sie. Und zwar jedes Exemplar.« Sie fixierte ihn. »Auch das, das Sie für sich gemacht haben.«
Jäger schluckte. Sie war die Beste. Und die Härteste. »Natürlich, Frau Bundeskanzlerin.«
»Bitten Sie Herrn Berg, eine Presseerklärung vorzubereiten, dass wir bestürzt sind, dass ein Mitglied der amerikanischen Vertretung Opfer eines extremistischen Übergriffs geworden ist und dass wir froh sind, dass der Attaché sich auf dem Wege der Besserung befindet. Das Übliche. Fragen Sie in der Botschaft nach, ob wir lieber nur von einem extremistischen oder von einem antisemitischen Akt sprechen sollen oder ob sie sonst irgendwelche Vorlieben haben. Und dann bringen Sie mir mal die Unterlagen in Sachen Wende. Die Kollegin scheint mir ein Sicherheitsrisiko zu werden.«
*
»Frau Dr. Wende?«
Die Staatssekretärin sah von ihrer Lektüre auf. »Ja?«
Die Sekretärin wirkte unglücklich. »Ein Bote für Sie. Aus dem Bundespresseamt. Er möchte etwas für Sie abgeben.«
»Dann nehmen Sie es doch bitte entgegen, und lassen Sie mich arbeiten.«
»Er sagt, es sei persönlich und vertraulich.«
Dr. Stephanie Wende seufzte demonstrativ und nickte. »Lassen Sie ihn rein.« Sie kannte den jungen Mann nicht, der kurz darauf eintrat und ihr einen unbeschrifteten Umschlag aushändigte. »Von wem ist das?«, fragte sie.
»Das weiß ich leider nicht«, entgegnete der Bote.
»Also gut, wer hat Sie beauftragt, mir das zu bringen?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen.«
»Dann werden Sie es wieder mitnehmen müssen. Anonyme Post nehmen wir hier nicht entgegen. Außerdem müsste ein solcher Umschlag erst einmal unten in der Poststelle durchleuchtet werden.«
»Ich soll Ihnen nur sagen, dass damit schöne Grüße aus Ägypten verbunden sind.«
»Aus Ägypten?« Stephanie Wende zögerte. Dann entschied sie sich für das Risiko. »Also gut, ich nehme die Sendung an. Frau Schneider wird Ihnen eine Quittung ausstellen.«
Der junge Mann nickte. »Das wird nicht nötig sein, danke.« Einen Augenblick später war er wieder weg.
Der Umschlag wog schwer in Stephanie Wendes Hand. Papier, ganz ohne Zweifel. Sie nahm ihren Brieföffner und schlitzte ihn seitlich auf für den Fall, dass doch irgendein Irrer eine kleine Plastikbombe darin verbastelt und ein paar feine Drähte unter der Lasche versteckt hatte. Doch außer dem endgültigen Geräusch scharf reißenden Papiers blieb es still in ihrem Büro. Sie ließ eine schwarze Mappe aus dem Umschlag gleiten und schlug sie auf. Keine Detonation. Und doch eine Bombe. »Nofretete 061 08« las sie. Und sie wusste, dass es eine Kopie von Natascha Eusterbecks Aufzeichnungen war. Sie hatten sie nicht alle beseitigen können. Irgendwo da draußen gab es jemanden, der das Geheimnis kannte, den dunklen Fleck, den sie seit mehr als zwanzig Jahren in ihrem Leben herumschleppte, der wusste, dass sie erpressbar war – und wie. Sie schlug das Dossier auf und blätterte bis zu jenem Foto, auf dem sie mit Rau, Frey und Konsorten abgebildet war. Nur ganz am Rand der Aufnahme. Aber es hatte genügt, jemandem die Augen zu öffnen, der sehen wollte. Ja, sie hatte sie unterstützt damals, die Clique um Rau, hatte sie gedeckt und als kleines, aber wichtiges Rädchen im Uhrwerk jenes monströsen Plans ihren Teil zu Ritters Tod beigetragen. Anfangs hatte sie noch geglaubt, sich dadurch ihren Anteil an der Macht zu sichern, die diese Männer sich schon bald aufteilen würden. Doch irgendwann war aus der stillen Teilhaberschaft ein unausgesprochener Fluch geworden, der ihre Seele überkrustete und sie auf ihrem Weg lähmte. Könnte sie die Zeit zurückdrehen, könnte sie diese eine entscheidende Weiche in ihrem Leben noch einmal anders stellen, sie würde es tun. Doch es gab Dinge im Leben, die unumkehrbar waren, und es gab Mechanismen der Macht, die kein Erbarmen kannten. Auch nicht für ihren Urheber. Stephanie Wende wusste, dass sie auf der Liste derjenigen stand, die die Kanzlerin früher oder später ausschalten würde. Möglich, dass ihr noch ein letzter Schritt auf der politischen Karriereleiter zugestanden wurde, ein Ministerium vielleicht. Doch ihr Sturz war so sehr beschlossene Sache, wie der Tod eines Menschen bei seiner Geburt beschlossen ist. Solange Stephanie Wende jene mörderische
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