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Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Kalte Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Faber
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– oder eine Außenstehende …« Er schürzte seine Lippen mit einer gewissen Süffisanz. »Ein Blick frei von Urteilen und Vorurteilen. Oder von Rücksichtnahme gegenüber alten Bekannten. Nicht wahr? Das ist doch sehr viel wert.« Er zögerte, dann entließ er sie aus seinem Bann und winkte dem Ober. »Zweimal das Risotto. Wein?« Natascha schüttelte den Kopf. »Ein Sprudelwasser für mich. Salat?« Noch einmal schüttelte sie den Kopf. »Das ist alles.«
    Natascha Eusterbeck seufzte, setzte eine entschuldigende Miene auf und erklärte: »Sehen Sie, lieber Herr Dr. Steiner, ich habe mir diese Aufgabe nicht ausgesucht. Die Kanzlerin ist damit auf mich zugekommen, und ich bin mit Sicherheit am allermeisten erstaunt darüber. Aber natürlich sehe ich das auch als enormen Vertrauensbeweis. Wenn ich Vorschläge erarbeite, dann sind das zuerst einmal nichts anderes als Vorschläge. Man kann sie in Bausch und Bogen ablehnen. Vielleicht ist auch etwas Gutes dabei, das wird man dann übernehmen, und sei es in einer modifizierten Form. Aber ich habe selbst keine Ahnung, ob mir etwas Sinnvolles gelingen wird. Auf jeden Fall bin ich sehr auf die Hilfe der entscheidenden Leute im Ministerium angewiesen. Ohne sie werde ich nichts erreichen können.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Und ich weiß natürlich, dass Sie als Kanzleramtschef auch mein Chef sind.« Das stimmte nicht ganz, denn sie war als parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundeskanzlerin dieser direkt unterstellt. Aber Natascha wusste, dass Steiner das gerne hören würde, weil es den Rangunterschied zwischen ihnen zum Ausdruck brachte – und vielleicht auch, weil er hoffte, dass sie wirklich sprang, wenn er sagte: Spring!
    Er lächelte sein typisches Haifischlächeln. »Seien Sie versichert, liebe Frau Eusterbeck, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Sie zu unterstützen.«
    »Danke, Herr Minister«, sagte Natascha und spürte, wie ihr bei seiner Lüge das eisige Messer des Verrats über den Rücken fuhr.
    *
    Auf ihrer Mailbox war wieder die eigentlich schöne und doch von Angst gepeinigte Stimme der Frau, die sie am Bahnhof hatte treffen wollen. »Ich war da. Ich habe Sie gesehen. Aber ich konnte nicht zu Ihnen kommen. Da waren zu viele Polizisten.« Sie schniefte. »Ich hatte Angst. Es ist wichtig, glauben Sie mir. Oh Gott, es ist so … Lassen Sie es uns noch einmal versuchen. Bitte.«
    Genervt drückte Natascha den Anruf weg und lauschte der nächsten Aufzeichnung. Doch da war nichts außer einem verunsicherten Atmen, dann wurde aufgelegt. Natascha sah auf die Nummer. Es war dieselbe wie vom vorangegangenen Anruf. Die Frau hatte es nochmals probiert. Mit einem Kopfschütteln wählte Natascha die Nummer an. »Deine letzte Chance, Mädchen«, murmelte sie und lauschte auf das Freizeichen. Sie wollte schon wieder auflegen, da wurde der Anruf angenommen. Eine zarte Stimme, viel heller als die auf der Mailbox, meldete sich: »Ja?«
    »Hallo. Hier ist Natascha Eus… Hier ist Natascha. Wer spricht denn dort?«
    »Natascha?«
    »Ja.« Es war eindeutig ein Kind. Natascha musste an das farbige Mädchen im Hauptbahnhof denken. Ob sie das war? »Haben wir uns im Bahnhof gesehen?«
    Schweigen.
    »Hallo?«
    »Ja. Was wollen Sie?«
    »Ich möchte deine Mutter sprechen.«
    »Sie ist nicht da.«
    »Wo ist sie denn?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und wann kommt sie zurück?«
    »Ich weiß nicht«, wiederholte das Kind. Natascha konnte hören, dass es verängstigt war. »Hat sie gesagt, wohin sie geht?«
    »Nein.«
    »Ist sie schon lange weg?«
    »Seit gestern.« Einen Augenblick schwiegen sie. Dann sagte das Mädchen: »Ich muss jetzt aufhören.« Und legte auf.
    Seit gestern, dachte Natascha. Seit gestern war das Kind allein. Musste es nicht schreckliche Angst haben? Konnte es sein, dass das Mädchen tatsächlich nicht wusste, wann, ja ob überhaupt seine Mutter zurückkäme?
    *
    Den restlichen Nachmittag verbrachte Natascha damit, sich so beiläufig wie möglich durch die Flure des Kanzleramts zu begeben und Gespräche mit Menschen zu führen, die sie noch nicht kannte. Besonders interessierte sie die zweite Ebene, also jene Mitarbeiter, die nie in der Öffentlichkeit auftraten, aber doch letztlich in allen Angelegenheiten die Fäden zogen oder zumindest in der Hand hielten. Es waren diese Leute, die das Fachwissen hatten und die Routine, die nötig war, ein Gesetz oder eine Vorlage zu formulieren, die nicht sofort von den Spezialisten der politischen

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