Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Busen für einen Augenblick vom Wasser angehoben wurde, ehe er hineinglitt, hielt Henrik Eusterbeck den Atem an.
»Schatz?«
»M-ja?«
»Hörst du mir zu?«
»Klar.«
»Entschuldige. Ich hatte das Gefühl, du bist abgelenkt.«
Sie war weg. Henrik versuchte, noch irgendetwas zu erkennen, doch die Bäume standen viel zu dicht. »Unsinn«, sagte er. »Von dir kann mich nichts ablenken!«
»Gut zu wissen«, sagte Natascha mit weicher Stimme. »Können wir uns treffen?«
»Sag nicht, du hast Zeit für mich. Haben sie dich schon wieder gefeuert?« Er hielt das Fernglas auf die Stelle gerichtet, an der die Kleider lagen. Schließlich würde sie dorthin zurückkommen.
»Mach keine schlechten Scherze.« Natascha seufzte. »Ich bin noch nicht mal vereidigt. Nein, ich muss etwas mit dir besprechen.«
»Okay. Und wann hätten Sie einen Termin für mich frei, Frau Staatssekretärin in spe?«
»Morgen Abend?«
Henrik nahm seinen Kalender zur Hand und blätterte ihn auf. Der ganze Tag war frei. So wie die halbe Woche. Natascha musste das nicht wissen. Er blätterte gewohnheitsmäßig herum, wie er es immer tat, wenn ein Termin zu vereinbaren war. »Geht klar«, sagte er schließlich. »Um acht im Gianni’s ?«
»Sagen wir lieber um neun. Oder halb zehn. Und hol mich hier ab, ja? Gib an der Pforte Bescheid, ich komme dann raus.«
»Geht klar.«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Er drückte den Anruf weg und sah wieder durch das Fernglas. Doch die Kleider und die Frau waren verschwunden.
*
Natascha Eusterbeck war kein politisches Küken, auch wenn die Opposition sie gerne als solches hinstellte. Damit konnte sie leben. Es war auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Kanzlerin, immer unterschätzt zu werden. Im Grunde galt das für alle Frauen in der Politik oder in der Wirtschaft. Und so hatte Natascha sich frühzeitig daran gewöhnt, als Leichtgewicht behandelt zu werden und dabei unauffällig ihre Dinge zu regeln. Sacharbeit lag ihr. Sie war keine Show-Politikerin, obwohl ihr ihre Attraktivität durchaus zugutekam. Mit Mitte dreißig hatte sie es bis ins Kanzleramt gebracht. Immer öfter wurde sie in den Medien zitiert. Sie saß in den Bundestagsausschüssen für Inneres und für Verteidigung, und das nicht nur, weil sie eine Frau war. Eher konnte man sagen, obwohl sie eine Frau war. Nein, sie war nicht über die Quote ins Zentrum der Macht gelangt. Dennoch war der Anruf der Kanzlerin und die Frage, ob sie bereit wäre, als Staatssekretärin ins Kanzleramt zu kommen, eine Auszeichnung für sie gewesen, die sie nicht erwartet hätte.
Als sie Henrik davon erzählt hatte, hatte sie gemerkt, dass auch er für einen Moment sprachlos gewesen war. Er hatte ihr zugezwinkert, um ihr Mut zu machen und zu zeigen, dass er an sie glaubte. Dann, für die Dauer eines Atemzugs, hatten sie sich angesehen, und sie hatten beide gewusst: Von jetzt an würde alles anders sein. Sie würden noch weniger Zeit miteinander verbringen können, es würde keine spontanen Verabredungen oder gar Besuche mehr geben. Wenn Natascha ihren Termin bei der Kanzlerin gehabt haben würde, wäre sie ein Teil der Macht – und sie würde zu den Geheimnisträgern und zu den meistgefährdeten Menschen der Republik gehören.
Das Handy klingelte. Es war Petra Reber, die Sekretärin ihres Wahlkreisbüros. »Petra, was gibt’s?«
»Ich weiß, du hast keine Zeit. Aber da ist diese Frau … Sie sagt, sie will auspacken. Und sie wird bedroht.«
Natascha Eusterbeck versuchte sich zu konzentrieren, während das Taxi den Fluss überquerte und auf das Kanzleramt zufuhr. »Auspacken? Was?«
»Keine Ahnung. Aber so wie sie aussah, hat sie einige intime Kenntnisse, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Sie war im Büro? Und du denkst, sie ist eine Prostituierte?«
»Sie war da, ja. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie eine Hure ist.«
»Und sie wird bedroht? Wieso bedroht? War sie bei der Polizei?«
»Sie sagt, sie traut sich nicht. Offenbar kennt sie dich von irgendwoher. Jedenfalls hat sie nur zu dir Vertrauen. Also ich weiß auch nicht, Natascha, aber wenn du kannst, ruf sie an. Sie klang wirklich verzweifelt.«
»Das geht nicht. Ich habe in einer Viertelstunde meinen Termin bei der Kanzlerin.«
»Verstehe ich. Trotzdem. Ich hab kein gutes Gefühl. Sie sah ziemlich fertig aus. Offenbar ist sie geschlagen worden.«
»Warum hast du ihr nicht gesagt, sie soll zur Bürgersprechstunde kommen?«
»Hab ich. Sie traut sich nicht. Sie hat mir
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