Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Lokal, in dem immer noch ein paar Nachtschwärmer aushielten, an die Bar. Zitternd schaute sie über die Schulter. Doch es war niemand zu sehen.
»Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte der Barkeeper.
»Ein Glas Wasser.« Als es vor ihr stand, ergänzte sie: »Und einen Cognac, bitte.«
Es blieb nicht bei dem einen. Als sie den zweiten bestellte, bemerkte sie, dass ein Mann sich neben sie gesetzt hatte und sie unverhohlen musterte. »Ganz ohne Begleitung heute Abend?«
»Ich habe mein Handy«, sagte Natascha knapp und zückte ihr Smartphone. Der Mann war ihr unheimlich. »Das ist genug Begleitung.« Demonstrativ holte sie ihre Mails ab.
»Verstehe. Tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe.« Der Mann gab dem Ober ein Zeichen. »Die Drinks für die Dame gehen auf mich.« Er zwinkerte ihr zu. »Kleine Entschädigung.«
Natascha zog es vor, nicht zu reagieren. Vor ihren Augen verschwammen die Tweets von David Berg, der erst vor wenigen Minuten etwas zum anstehenden Staatsbesuch des polnischen Präsidenten verbreitet hatte. Sie hätte den Kopf schütteln mögen, wäre er nicht so schwer gewesen. Schwer wie ein Medizinball. Im Grunde war er das auch. Sie packte ihr Handy wieder weg und riss sich zusammen. Immer noch lag das Haus auf der anderen Straßenseite ruhig da, die Jugendlichen waren abgezogen, und auch Nataschas Panikattacke hatte sich verflüchtigt oder vielmehr: im Alkohol aufgelöst. Sie versuchte, eine einigermaßen akzeptable Figur zu machen, als sie wieder ins Freie trat. Die Treppen bis zur Wohnung schienen sich vermehrt zu haben. Als sie oben angekommen endlich die Tür hinter sich ins Schloss drückte, hörte sie draußen Schritte. Eine Gänsehaut überschauerte ihre Arme und ihren Rücken. »Henry?«, fragte sie mit rauer Stimme ins Dunkel hinein. Doch es war nur Schweigen, das ihr antwortete. Ja, sie war allein.
Natascha wartete, bis ihr Herz sich wieder etwas beruhigt hatte. Das alles war zu viel für sie gewesen, der Stress der letzten Wochen, die seltsamen Vorkommnisse, die Drohungen … Sie hatte einfach keine Nerven mehr, das war alles. Und dann diese stille, leere Wohnung. Henry übernachtete immer häufiger draußen am See. Sie konnte es ihm nicht verdenken, so wenig, wie sie zu Hause war. Auch auf dem Land war es einsam, aber es war eben doch mehr ihr gemeinsames Nest als diese Stadtwohnung, in der alles funktional und schlicht war. Mit klammen Fingern drückte sie auf den Lichtschalter. Dann ließ sie ihre Tasche auf den Boden gleiten und ging ins Bad. Seit einiger Zeit hatte sie ständig das Gefühl, als wäre sie nicht allein in der Wohnung oder als wäre in ihrer Abwesenheit jemand hier gewesen. Das war natürlich Unsinn, die neuen Schlösser waren längst eingebaut. Das hätte sie irgendwie auch beruhigen können, ging es doch um ihre Sicherheit. Andererseits gab keine Schutzmaßnahme der Welt irgendjemandem das Recht, sich Zutritt zu ihren privaten Räumen zu verschaffen. Und sie war sich sicher: Die Leute, die die Schlösser installiert hatten, hatten mehr Schlüssel dazu gehabt, als sie bekommen hatte.
Dann ließ sie sich ein Bad ein, zog sich aus und legte sich in die Wanne. Wirre Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Bizarre Begriffe. Reptilienfonds. Geheime Verfahren. Sondereinsatzkommandos. Lobbyistenverbände. Je länger sie sich mit der seltsamen Aufgabe befasste, die sie zu bearbeiten hatte, umso tiefer wurden die Abgründe, in die sie blickte. Es kam ihr vor, als gäbe es hinter der einen, der sichtbaren Republik noch eine andere, unsichtbare, eine Macht hinter der Macht, die ungleich größer, jedenfalls aber viel gefährlicher war als das, was man kannte. Sie war so müde, dass die Müdigkeit jedes andere Gefühl überwältigte. So ähnlich mussten sich Folteropfer fühlen, wenn man sie mit Schlafentzug quälte. Sie war kaum noch fähig, aus dem Wasser zu steigen. Schwerfällig schlang sie den Bademantel um sich und band ihr Haar mit dem Handtuch hoch. Im Spiegel sah sie eine Frau, die ihr fremd war: erschöpft, gealtert, verängstigt. »Oh Gott«, seufzte sie. »Wie gut, dass Henry nicht da ist und mich so sieht.« Für einen Moment war sie den Tränen nah. Sie spürte, wie sie langsam wegsackte. Dass der Alkohol sich nicht gut mit den Tabletten vertrug, war klar. Wie sie ins Bett gekommen war, daran würde sie sich später nicht mehr erinnern können.
*
Irgendwann in tiefer Nacht spürte sie, wie Henrik ins Bett glitt. »Schatz«, seufzte sie, benommen vom Rausch,
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