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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
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Plastiktiegel
Erkältungssalbe auf die Maske, um den Gestank weiter zu neutralisieren, näherte sich dem Kadaver und machte sich an die Arbeit.
    Der Elch war noch stärker verwest. Wo die geblähte Haut aufgeplatzt war, waren Eingeweide wie Blüten aus dem Unterleib gebrochen. Erneut bewunderte Joe die chirurgisch präzisen Schnitte. Er fand keine am Vortag übersehenen Wunden. Hinzugekommen waren allerdings die Beißspuren des Bären im Nacken, die vom Zerren des Kadavers über die Wiese herrührten. Mit der Digitalkamera fotografierte Joe die Wunden aus verschiedenen Perspektiven. Die Bilder gaben allerdings nicht wieder, welche Angst und Furcht ihn plagte. Klinisch und irgendwie sauberer als die Wirklichkeit hielten sie die Situation fest.
    Er streifte dicke Gummihandschuhe über und hockte sich mit dem Sezierbesteckkoffer neben den Kadaver. Auf einer Befundkarte mit Gebissschema trug er die Größe der vorderen Backenzähne sowie ihre Verfärbungen und den Grad der Abnutzung ein, deren zufolge der Bulle etwa sieben Jahre alt war, also in der Blüte seines Lebens gestanden hatte. Nachdem er mit einer Edelstahlsonde erst auf Schulterhöhe nahe der Wirbelsäule, dann am mittleren Rücken und schließlich in Hüfthöhe ins Fleisch gestochen hatte, notierte er, dass das Tier normal, vielleicht sogar ein wenig überernährt war. Für ein so trockenes Jahr schien der Elch ungewöhnlich robust und gesund gewesen zu sein. Was ihm auch widerfahren war: Offensichtlich war er nicht an Auszehrung oder Altersschwäche gestorben.
    Joe strich mit einem ausziehbaren Metalldetektor vom Schwanz bis zur gewölbten Schnauze des Tiers. Kein Ausschlag. Sollte er geschossen worden sein, hatte die Kugel den Elch durchschlagen. Doch es gab keine Austrittswunde. Die
üblichen Jagdpatronen waren so gefertigt, dass sie im getroffenen Tier schlimme Verletzungen anrichteten und im Körper verblieben. Möglicherweise hatte der Schütze aber panzerbrechende Kugeln verwendet, die glatt durchgingen. Doch Joe bezweifelte auch das. Je genauer er den Kadaver inspizierte, desto weniger war er der Meinung, dass der Elch erlegt worden war.
    Mit einem Rasiermesser nahm er an den Stellen der chirurgischen Schnitte Gewebeproben von Hinterläufen, Nacken und Kopf und verpackte sie in dicke Papierumschläge, um sie ins Labor nach Laramie zu schicken. Plastik hätte die Proben verdorben, und seine Mühe sollte nicht umsonst gewesen sein. Er wiederholte die Prozedur mit einem zweiten Satz Umschläge, den er an ein anderes Labor senden würde.
    Nachdem er fertig war, betrachtete er den Kadaver. Die ihres Fleisches beraubte Gesichtshälfte erschien ihm im stillen Halbdunkel noch grausiger als am Vortag. Der Verwesungsgestank arbeitete sich langsam durch die Maske und war stärker als selbst die Erkältungssalbe. Plötzlich blickte sich Joe um, denn ihm war schlagartig aufgefallen, dass er sich so darauf konzentriert hatte, Proben zu nehmen und die Nekropsie durchzuführen, dass er nicht an den Grizzly gedacht hatte. War er dort im Dunkel des Waldes? Würde er zurückkehren?
    Warum hatte der Bär sich die Mühe gemacht, den massigen Kadaver in die Bäume zu zerren, dann aber nichts davon gefressen? Elchfleisch war begehrt, bei Jägern wie Bären. Wenn der Grizzly nicht hungrig war, wieso hatte er sich dann so angestrengt? Wenn er den Elch später hatte fressen wollen, weshalb hatte er ihn nicht eingegraben oder mit Ästen bedeckt, wie Bären das eigentlich taten?
    Joe schloss den Reißverschluss des Nekropsie-Sets und ging
den Weg zurück, den er gekommen war. Der ganze Fund war ein undurchschaubares Rätsel. Er konnte nur hoffen, dass die Jungs im Labor mit Fotos und Proben etwas anzufangen wussten. Doch selbst wenn der Bulle an einer seltsamen Krankheit gestorben war: Wie würden sie die chirurgischen Schnitte und das Fehlen von Haut, Geschlechts- und anderen Organen erklären?
    Das Licht um ihn herum wurde immer gelber, je mehr er sich der Wiese näherte, und als er aus dem Wald trat, fühlte er sich wie ein Schwimmer, der von unten die Wasseroberfläche durchbricht. Er blickte sich um und horchte, ob er einen heranstürmenden Bären oder irgendetwas anderes vernahm. Doch es war nichts zu hören. Noch immer aber lagen dieser Schimmer und eine drückende Atmosphäre in der Luft.
    Vielleicht beobachtet mich jemand oder etwas, überlegte Joe – womöglich ist mir deshalb auf der Wiese so seltsam zumute. Er ließ den Blick über die Bäume gleiten, um etwas

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