Kalte Spur
Ungewöhnliches zu entdecken, zwei Augen vielleicht oder das Blitzen eines Fernglases. Nicht weit von dort, wo der Elch ursprünglich gelegen hatte, drehte er sich langsam und musterte die drei dichten Waldränder, das Flussbett und die hohen, glatten Gebirgswände, entdeckte aber nichts Ungewöhnliches. Die Angst, die er tief in seinem Inneren verspürte, beschämte ihn.
Pistole und Bärenspray fest umklammert, überquerte Joe die Wiese und hielt sich Richtung Crazy Woman Creek. Mit jedem Schritt, den er flussabwärts setzte, ließ der Druck nach, bis er schließlich vollkommen verschwand. Die Sonne fühlte sich wärmer und heller an als noch vor wenigen Momenten. Am anderen Ufer krächzte ein Rabe.
Am Nachmittag machte Joe mit seinem Pick-up auf der Kuppe eines mit Salbeigestrüpp bewachsenen Hügels in den Breaklands östlich von Saddlestring halt. Hinter ihm erhoben sich die Hügelketten der Bighorns, von denen er gekommen war. Kilometerweit vor ihm erstreckten sich blaugraue, von kleinen, rötlichen Canyons durchzogene und mit Salbei dicht bewachsene Ebenen. Von hier aus wirkten die Breaklands wie die Momentaufnahme einer von Wellen bewegten Wasseroberfläche. Das war das Revier der Pronghornantilopen, doch Jäger waren kaum unterwegs. Binnen drei Stunden hatte er nur zwei Fahrzeuge anhand der Reflektionen der Scheiben und Karosserie in etwa drei Kilometern Entfernung bemerkt. Das am Seitenfenster befestigte Spektiv hatte ihn einen Blick auf die Allradwagen werfen lassen, die über die Pisten des Landverwaltungsamts schlichen. Straßenjäger. Doch er hatte keine Schüsse gehört. Nach dem ersten Wochenende der Gabelbocksaison war der Jagdbetrieb in den Breaklands minimal. Die Pronghorns waren so zahlreich und leicht zu erlegen, dass geübte Jäger ihren Bock schon Stunden nach Ende der Schonzeit geschossen hatten. Jetzt waren nur noch hartnäckige Trophäenjäger auf der Suche nach dem perfekten Geweih unterwegs. Und Einheimische, die es nicht eilig hatten, an ihr Fleisch zu kommen.
Joe löste sich vom Spektiv und rieb sich die Augen. Maxine seufzte und rollte sich schlafend auf dem Beifahrersitz zusammen.
Er hatte in der Stadt gehalten und die Gewebeproben abgeschickt. Die Päckchen würden am nächsten Morgen im Labor in Laramie und bei seinem Gewährsmann in Montana eingehen. Er hatte beide Empfänger per Handy verständigt, sie auf dem AB um eine beschleunigte Untersuchung gebeten und versprochen, ihnen die Digitalbilder des Fundortes
am Abend zu mailen, sobald er wieder daheim wäre. Von seinem Beobachtungspunkt oberhalb der Ebene hatte er eine hervorragende Sicht. Der Herbst war aus vielerlei Gründen seine liebste Jahreszeit. Luft und Licht schienen in diesen Wochen des Jahres klarer zu werden und alles war ganz deutlich zu erkennen. Im Sommer beeinträchtigte die Hitze die Sicht, im Winter bewirkten Luftfeuchtigkeit und vom Wind aufgewirbelter Schnee das Gleiche. In diesen Herbsttagen dagegen war die Luft frisch und rein, und die Farben der vielen Bäume in den Tälern gaben der Landschaft etwas Festliches, Feierliches. Heute allerdings erfüllte ihn dieser spektakuläre Anblick nicht mit so starker Ehrfurcht wie sonst. Der tote Elch ging ihm einfach nicht aus dem Kopf.
Auch wenn er sich einredete, das seltsame Gefühl auf der Wiese sei nur eingebildet gewesen, ergaben die Todesumstände des Bullen einfach keinen Sinn.
Joe schüttelte den Kopf. Er hoffte, vom Wildtiermedizinischen Forschungsdienst, dem er die Proben geschickt hatte, Aufschlüsse zu bekommen.
Da bemerkte er ein Glitzern. Er setzte die Augen wieder ans Spektiv und richtete es ein wenig höher, über die Breaklands hinweg auf das private Ranchland dahinter und stellte die Optik scharf.
Das Funkeln wurde nicht von einer Scheibe reflektiert, sondern von Wasser, das sich um einen frisch gebohrten Schacht herum ausbreitete. Drei große, baugleiche Pick-ups waren um den Bohrturm herum geparkt. Männer liefen hastig zwischen den Autos und dem Schacht hin und her und spritzten das Wasser der immer größer werdenden Pfütze auf. Joe konnte weder ihre Gesichter noch die Logos auf den Türen erkennen, erkannte aber sofort, was vorging. Er hatte es im vergangenen Jahr dutzendmal gesehen.
Dort wurde nach Flözgas gebohrt. Dem Druck, mit dem das Wasser aus der Erde stieg, und der Hektik der Männer zufolge waren sie einmal mehr fündig geworden.
Unterirdische Kohlenschichten lagen wie ein Deckel auf dem konzentrierten Erdgas, sodass es sich
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