Kalte Spur
untersuchen?
»Einmal kam er mit einem toten Maultierhirsch an«, fuhr Avery fort. »Der sah wirklich so aus, als sei daran herumgeschnitten worden. Aber der Kadaver war zu alt, um etwas Beweiskräftiges zu finden. Außerdem hatte ich den Kerl im Verdacht, das Tier selbst verstümmelt zu haben.«
»Treibt er sich noch in deiner Gegend herum?«
»Glaub ich nicht. Ich hab ihn seit einiger Zeit nicht gesehen. Angeblich hat er sich mit einem jungen Mädchen aus seinem Gefolge ähnlich verblendeter Spinner eingelassen. Er hat sie wohl dahin mitgenommen, woher er kam, um Alienproben an ihr vorzunehmen oder so.«
Joe wusste nicht, was er noch fragen sollte. Dann fiel ihm eine Bemerkung ein, die Avery gemacht hatte.
»Dave, du meintest, etwas sei seltsam gewesen an den Gewebeproben, die du dir angesehen hast.«
»Oh ja. Aber wie gesagt: Miss dem keine zu große Bedeutung bei.«
»Nämlich?«
»Bei den frischesten Kadavern – sie waren ungefähr eine Woche tot – haben wir einen erhöhten Oxindolwert festgestellt. Hast du mal von dieser Verbindung gehört?«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor.« Joe kramte in seinem Gedächtnis.
»Wahrscheinlich aus dem Biologieunterricht. Oxindol ist eine natürliche Substanz, die beruhigend wirken kann. Rinder schütten sie unter Stress aus. In den Gewebeproben haben wir eine sehr hohe Konzentration gefunden, vor allem in Hirn und Augäpfeln, sofern sie nicht entfernt wurden.«
»Also haben die Kühe das Oxindol vermutlich selbst produziert?«
»Tja, möglich«, erwiderte Avery. Aber nicht wahrscheinlich, ergänzte Joe im Stillen.
»Und bei den Rindern, die schon länger tot waren – hast du bei denen auch Oxindol gefunden?«
»Nur in geringem Ausmaß. Aber wir glauben, dass es sich mit der Zeit zersetzt.«
»Warum hast du es dann erwähnt?«
»Weil die Menge so gewaltig war«, seufzte Avery. »Vielleicht genug, um die Kuh buchstäblich von den Beinen zu holen. Viel mehr jedenfalls, als ein Rind unseres Wissens produzieren kann.«
Joe schwieg.
»Sieh mal, wir müssen die Relationen wahren«, mahnte ihn Avery. »Wir wissen nicht viel über diese Verbindung. Beispielsweise wissen wir nicht, ob sie sich nach dem Tod in bestimmten Organen konzentriert, Organen, die wir zufällig untersucht haben. Die Verbindung mag auch infolge eines traumatischen oder qualvollen Todes in höherer Konzentration aufgetreten sein, oder ein Virus oder dergleichen hat für eine verstärkte Ausschüttung gesorgt. Wir sind da noch dran, aber offen gesagt glaube ich nicht, dass es uns weiterbringt. Wie du weißt, haben wir hier oben eine Menge zu tun. Im Moment grassiert bei unseren Bergschafen eine Bindehautentzündung. Daher können wir nicht viel Zeit oder Energie in tote Kühe stecken – zumal es keine neuen Fälle gibt.«
»Jedenfalls in Montana«, meinte Joe.
»Jetzt hast du sie am Hals«, sagte Avery mit einem Seufzen. »Vielleicht musst du dich demnächst auch mit meinem Freund Cleve Garrett herumschlagen.«
Joe ächzte. »Ich kann nicht fassen, dass ich erst jetzt von diesen Fällen erfahre. Ich hätte gedacht, eure Rancher würden euch zum Handeln zwingen.«
Avery lachte zu Joes Erstaunen laut auf.
»Was gibt’s da zu lachen?«, setzte er gereizt hinzu.
»Zuerst wollten sie die Nationalgarde anfordern«, erklärte Dave. »Einige Rancher haben gleich den Gouverneur angerufen. Dann wurde ihnen klar, wie das aussieht.«
»Wie meinst du das?«
»Der Rindfleischpreis war so tief im Keller wie nie. Die meisten Rancher kommen gerade so über die Runden. Sollten sie ihre Kredite aber nicht bedienen, verlieren sie ihren Hof. Also versuchen sie entweder, ihr Anwesen für gutes Geld an Hollywood-Berühmtheiten zu verkaufen, oder ihr Fleisch für ein paar Cent Profit loszuschlagen. Wenn sich herumspricht, dass die Rinder eines unnatürlichen Todes sterben, sind sie praktisch ruiniert. Kaum hatten sie das begriffen, machten sie auf die Regierung Druck, bloß nichts zu unternehmen.«
»Dave, darf ich dich was fragen?«
»Schieß los.«
»Was hältst du von der Sache? Ich möchte keine wissenschaftliche Erklärung und will auch nicht hören, was du von Berufs wegen darüber denkst. Was sagt dein Bauchgefühl?«
Er hörte ihn wieder einen Schluck trinken. Im Hintergrund lief ein weiterer Rodeo-Song von Chris LeDoux.
»Ich weiß nicht, womit wir es da zu tun haben«, sagte Avery mit gesenkter Stimme, »aber eine Zeit lang hatte ich richtig Muffensausen.«
Joe bat seinen Freund, ihm
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