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Kalte Spur

Kalte Spur

Titel: Kalte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bescheid zu geben, wenn er an den Proben etwas Ungewöhnliches entdeckte. Sie sprachen noch ein wenig über Wildbestandspflege: Avery erzählte, wie es in Montana mit der Drehkrankheit bei Forellen aussah, und Joe berichtete von bestätigten Funden von CWD (einer bei verschiedenen Hirsch- und Elcharten Nordamerikas auftretenden Gehirnerkrankung) in Südwyoming. Zum Abschluss kamen sie überein, regelmäßiger in Kontakt zu bleiben.

    Dann legte Joe den Hörer auf und lehnte sich zurück.
    Er saß noch immer so da, als Marybeth anklopfte und die Tür öffnete. Sie trug noch ihr Nachthemd – das kurze, schwarze, das ihm so gefiel.
    »Kommst du ins Bett?«, fragte sie.
    Joe sah auf die Armbanduhr und staunte, dass es schon halb zwölf war.
    »Ich hab den Mädchen gar keinen Gutenachtkuss gegeben«, murmelte er verdrossen.
    »Was hast du hier getrieben?«
    »Gearbeitet. Mit Dave Avery telefoniert.«
    Marybeth verdrehte lächelnd die Augen.
    »Ich weiß noch, dass Dave bei seiner Hochzeit nüchtern war«, sagte sie. »Da ist mir aufgefallen, dass ich ihn eigentlich gar nicht so kannte. Er war praktisch sein ganzes Studium über betrunken.«
    »Er ist trotzdem ein guter Biologe«, erwiderte Joe. »Und ein guter Freund.«
    »Was hat er über den Elch gesagt?«
    Joe wandte den Blick ab und sah Marybeth dann wieder an. »Könnte sein, dass wir ein Problem haben.«
    »Wie meinst du das?«
    »Stehen die Pferde im Stall oder auf der Koppel?«
    Marybeth sah finster drein. »Auf der Koppel, wieso?«
    »Ich denke, wir müssen anfangen, sie abends in den Stall zu bringen.« Joe erhob sich und setzte seinen Hut auf.

Achtes Kapitel
    Sheridan Pickett trat aus dem Unterholz der Pappeln im Talgrund und musterte den trüben Himmel, bis sie es entdeckte. Ein Schauer der Erregung durchfuhr ihren Körper. Sie waren tatsächlich da!
    Wie angewiesen, trat sie nicht auf die Lichtung hinaus. Hinter ihr und jenseits der mächtigen alten Bäume floss der flache Twelve Sleep River friedlich dahin. So spät im Jahr war sein Wasser klar und fast reglos. Eine verrostete Eisenbrücke überspannte den Fluss, doch Fahrzeuge durften sie nicht nutzen, da sie alt und baufällig war. Eine halbe Stunde zuvor hatte Sheridan sie überquert und sich bemüht, die Löcher zwischen den Planken zu ignorieren, durch die das Wasser zu sehen war. Ihre Schritte auf der Brücke waren ihr unnatürlich laut erschienen. Ihr Atem verließ ihren Mund in weißen Wölkchen. Es war ein kalter Herbsttag, und die Wolken, die wie eine Plane über den klaren Himmel gezogen waren, sahen aus, als könnten sie Regen oder gar Schnee bringen.
    Sie war mit ihrer Jeans und der alten, gefütterten Leinenjacke ihrer Mutter mit Cordkragen und überlangen Ärmeln warm gekleidet. Ihr Dad hatte darauf bestanden, dass sie wegen der Jagdzeit eine Weste in grellem Orange überzog, weshalb sie sich nun ein wenig wie ein Verkehrshütchen vorkam. Ein schwarzes Stirnband hielt ihr blondes Haar zurück und konnte über die Ohren gezogen werden, sollte ihr kalt werden.
    Sie wartete wie abgemacht. Ringsum ragten dunkle, kahle Bäume auf, während die Lichtung mit khakifarbenem Gras bestanden war, zwischen dem hier und dort etwas Salbeigesträuch
und ein paar junge Flusspappeln wuchsen. Eine einsame, tiefgrüne Kiefer – der ideale Weihnachtsbaum – steuerte die einzige Farbe bei. Die ist so fehl am Platz wie ich, dachte Sheridan. Die unheimliche Stille auf der Lichtung ängstigte sie ein wenig.
    In der Nacht hatte sie wieder geträumt. Erneut hatte sich der Nebel in den Wald ergossen, als wäre ein Deich gebrochen. Doch diesmal hatte er am Waldrand angehalten, statt sich weiter auszubreiten. Etwas hatte ihn gestoppt, doch sie hatte nicht erkennen können, was. Jedenfalls handelte es sich um etwas Starkes, das von weither gekommen war, um der Herausforderung zu begegnen. Diesmal hatte sie ihrem Dad nichts von dem Traum erzählt.

    Nach ihrer fast einjährigen Lehrzeit, die vor allem darin bestanden hatte, die beiden Wanderfalken von Nate Romanowski zu pflegen und zu füttern und seiner beinahe geflüsterten Einführung in die Philosophie der Falknerei zu lauschen, war dies eine besondere Lektion. Zum ersten Mal hatte Nate sie zur Jagd mitgenommen. Mit Falken zu jagen, so hatte er ihr gesagt, sei etwas ganz anderes als das, was sie von ihrem Vater kannte. Hier seien die tödlichen Waffen nicht Gewehre oder Flinten, sondern die Vögel selbst. Menschen sollten die Beute nur wie Hunde aufscheuchen,

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