Kalte Spur
Namen George zu nennen, wurde er fortan als Nicht-Ike bekannt.
Zusammen mit zwei einheimischen Rentnern namens Hans und Jack fischte Nicht-Ike an den ruhigen Stellen zwischen den beiden Brücken über den Twelve Sleep River nach Forellen, und Joe hatte ihn bei jedem Wetter hier draußen gesehen. Da Nicht-Ike sich die jährliche Angelerlaubnis noch nicht leisten konnte, kaufte er sich nacheinander die billigeren, drei oder fünf Tage gültigen Genehmigungen, um munter weiterfischen zu können. Jedenfalls hoffte Joe, dass Nicht-Ike diese Bewilligungen noch immer erwarb, und nahm sich vor, dies auf dem Rückweg zu überprüfen.
Als er die andere Seite der Brücke erreichte, bog er links ab und fuhr unter einem verblichenen Schild durch, dem Eingang zum Riverside-Wohnmobilpark.
Einst als Ferienanlage konzipiert, war er rasch zu einem eigentümlichen Gemisch herangewachsen. Die meisten Stellplätze waren von Dauercampern belegt: Sägewerkarbeitern im Ruhestand, Servicekräften des Eagle Mountain Clubs, Umherziehenden und nun auch ganzen Mannschaften von Flözgasbohrern. Ein paar neue Mobilheime mit sauber geschnittenem Rasen vor der Tür standen neben ramponierten Wohnwagen, die auf Schalsteinen aus Beton ruhten und deren windschiefe Vorratsschuppen jeden Quadratmeter des Stellplatzes einnahmen. Am Eingang teilte sich die Straße in drei links und rechts mit Behausungen gesäumte Wege.
Zwei Jahre zuvor war Joe hier dem anonymen Hinweis auf einen Wilderer nachgegangen. Seither war er mit der Anlage einigermaßen vertraut. Er hatte zwei Arbeiter einer Straßenbaufirma dabei ertappt, Pronghorns hinter einem gemieteten Trailer die Haut abzuziehen, und sie festgenommen, weil sie die Tiere in der Schonzeit getötet hatten. Der Wohnmobilpark
hatte sich seither kaum verändert, doch aufgrund des Zustroms der Gasbohrer schienen nun fast alle Stellplätze belegt.
Er hielt beim ersten Wohnwagen, über dessen Gartentor in schmiedeeisernen Buchstaben RESORT MANAGER stand. Das Gefährt war schon so alt, dass seine silberfarbene Zinnhülle oxidiert war. Ein Korb mit Plastikblumen hing von der Sonnenveranda neben der Tür.
Joe ließ Maxine zusammengerollt unter der ins Armaturenbrett integrierten Umluftheizung bei laufendem Motor weiterschlafen, schwang sich aus dem Wagen und setzte seinen grauen Stetson auf. Es war ein kalter, stiller Morgen. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke etwas weiter zu und stopfte die Hände in die Taschen.
Als er sich dem Platzwartbüro näherte, wehte ihm eine Duftwolke aus frisch gebrühtem Kaffee und brutzelndem Schinkenspeck entgegen. Die Türglocke schellte, und er trat auf die Veranda zurück und wartete. Er wünschte sich, die helle Morgensonne würde durch die Bäume dringen und ihm den Rücken wärmen.
Die Tür klickte und öffnete sich nach innen, dann stieß der Manager das Fliegengitter auf.
»Guten Morgen, Jimbo«, sagte Joe.
Jimbo Francis war hier Platzwart, seit Joe in diesem Distrikt amtierte. Er war ein dicker Mann mit mächtigem Bauch, radkappenrundem Gesicht und abstehenden Ohren. Unterhalb seiner kahlen Schädelkuppel verlief ein Saum flaumiger weißer Haare und ging in einen mit blonden Flecken durchsetzten Vollbart über. Jimbo war einst als staatlich besoldeter Fallensteller dafür zuständig gewesen, bestimmte Raubtierarten in den Bighorns und den Tälern ringsum durch Kugeln, Fallen oder Gift auszurotten. Als es für diese Aufgabe keine Bundesmittel mehr gab, war er übergangsweise Platzwart
geworden, bis wieder Gelder aus Washington fließen würden. Darauf wartete er seit fünfundzwanzig Jahren. Jimbo war auch selbst ernannter Kunstmäzen und Vorsitzender der Büchereistiftung von Saddlestring. Seine Leidenschaften fasste er mit den Worten zusammen, er liebe es, »Bücher zu lesen und Schädlinge auszurotten«. Nun, da er Ende siebzig war und immer schlechter sah, wohl auch verursacht durch seine tatkräftige Unterstützung beim Aufbau der Hörbuchabteilung, schwanden beide Leidenschaften dahin – genau wie sein Verstand, wie Joe argwöhnte.
»Den wünsche ich Ihnen auch, Vern Dunnegan!«, dröhnte Jimbo.
»Joe Pickett«, verbesserte Joe ihn. »Vern ist seit sechs Jahren nicht mehr im Amt. Ich bin sein Nachfolger.« Vern sitzt im Gefängnis, wo er hingehört, dachte er nur bei sich, um Jimbo nicht noch mehr zu verwirren.
»Das war mir klar, glaube ich.« Er fuhr sich mit der Hand durch den Bart. »Natürlich war mir das klar. Ich weiß gar nicht, wie ich auf Vern
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