Kalte Spuren (German Edition)
sich eine Menge Gedanken zu machen. Vor allen Dingen darüber, was eigentlich seit dem 11. November geschehen war.
Gott, ist das wirklich erst vier Tage her?
Sie atmete tief durch. Was geschah, wenn sie wirklich zur Ruhe kam? Wenn sie sich irgendwo in einem Hotelbett streckte, die Sache durchgestanden war und sie einfach abhängen konnte? Würde sie stark genug sein, der Stille zu begegnen? Konnte sie die Wahrheit vertragen, die dann unweigerlich mit voller Wucht auf sie einschlagen würde? Dass es kein Zurück mehr gab? Dass sie alles verloren hatte und vermutlich nie mehr in ein normales Leben einkehren konnte? Ihre Mutter. Ihr Bruder. Sie würde sie niemals wiedersehen oder sonst wie mit ihnen in Kontakt treten können. Eileen wusste ja nicht einmal, ob die beiden überhaupt noch lebten.
Es wird so weitergehen, dachte sie. Auf der Flucht sein. Ständig. Sich davor fürchten müssen, dass sie entdeckt wurde. Keinen festen Wohnsitz haben. Immer in Bewegung bleiben und von einem Ort zum anderen reisen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, dem allen zu entrinnen. Aber dafür müsste sie die Organisation der Generäle zerschlagen. Sie musste jede Zelle finden, jeden General, jede Mrs Stylez, jeden Agenten und Mitarbeiter, der unmittelbar in dem Verbund arbeitete.
Innerlich lachte Eileen auf. Wenn es etwas gab, das das Wort unmöglich treffend umschrieb, dann dieses Unterfangen. Soweit sie wusste, hingen die Generäle in jeder Regierung mit drin, entweder direkt oder als Graue Eminenzen, die im Hintergrund die Fäden zogen. Eileen hätte die ganze Welt gegen sich, wollte sie auch nur den Versuch starten, sich gegen den Verbund zu wenden.
Aber sie tat es doch bereits. Sie beabsichtigte, deren Aktionen zu sabotieren. Und die ihrer Gegner.
Eins nach dem anderen, ermahnte sie sich. Zuerst musste sie die beiden Virenstämme sicherstellen und vernichten. Danach konnte sie immer noch überlegen, was zu tun war, an wen sie sich wenden konnte. Vielleicht half ihr Mrs Stylez dabei. Vielleicht stand sie ganz allein da.
Eileen hob den Kopf und sah, dass der Deutsche sie musterte. Als sie ihn anblickte, schaute er verlegen in eine andere Richtung. Markus de Vries, rief sie sich seinen Namen ins Gedächtnis zurück. Vermutlich war er noch schlimmer dran als sie. Wenn sie dem Glauben schenken konnte, was sie über ihn wusste, war er aus einem bürgerlichen Leben herausgerissen und von den Generälen genauso gejagt worden wie sie selbst. Letztendlich grundlos, denn er hatte mit Misty Hazard nicht das Geringste zu tun. Dafür aber die beiden anderen Passagiere an Bord des Rettungsbootes. Eileen blickte Veronica Pothoff und Desmond Vandengard an. Welche Rolle spielten sie in der Sache? Womit war es G-Dawn gelungen, den SAS -Mann zu ködern, um ihn für ihre Seite zu gewinnen? Pothoff war eher zufällig hineingeschlittert und hatte sich erst beim ersten Zusammentreffen mit Narwick für G-Dawn entschieden.
Du machst dir zu viele Gedanken. Erneut ermahnte sich Eileen, zuerst einen Schritt, dann den nächsten zu machen. Ihre Priorität lag jetzt bei den Viren.
Gerade als Amandine den Motor wieder starten wollte, schälte sich aus der Dunkelheit des Ozeans eine Silhouette heraus. Das Geräusch von rauschendem Kielwasser übertönte den Wind und das leise Plätschern von Wellen, die gegen den Rumpf der Rettungsboote schlugen.
Eileen sah das Schiff als Erste. Es glich in seiner Form der La Lumière wie ein Ei dem anderen. Da war es also, das Schwesterschiff der untergegangenen Fregatte. Die Le Soleil.
Waren sie jetzt in Sicherheit?
Eileen bezweifelte es. Der Spaß fängt vermutlich jetzt erst an.
Die Fregatte, die nach Narwicks Aussage angeblich unbewaffnet war, manövrierte längsseits der Rettungsboote. Lotsenleitern und Taue wurden über die Reling geworfen. Oben auf dem Deck bewegten sich einige Gestalten und redeten, winkten. Ein Maschinist vom zweiten Beiboot verzurrte eines der Taue und gab dann Juliette zu verstehen, sie solle hochklettern.
Eileen stand von ihrem Platz auf, schob sich die Ärmel des Parkas etwas höher und griff nach dem Seil, das lose an der Schiffswand herunterbaumelte. Sie machte es am Rettungsboot fest und griff dann nach der Leiter.
»Dann mal los«, sagte Inga. Der Techniker bequemte sich nach vorn, ließ dann jedoch Veronica Pothoff den Vortritt. Eingemummt in Parkas und vom Seegang nassen Hosen kletterten die Schiffbrüchigen der Reihe nach die Lotsenleiter hinauf und wurden an Bord der Le Soleil
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