Kalte Stille - Kalte Stille
durch Szenerien raste, die aus Dantes Inferno zu stammen schienen, fand sie
sich irgendwann kniend auf dem blauen Vorleger in ihrem Badezimmer wieder.
Neben ihr lag die Weinflasche, die sie hatte fallen lassen, doch nun war sie auf den Bodenfliesen zersprungen. Grüne Scherben unterschiedlichster Größe schimmerten ihr aus der Pfütze entgegen, und der Wein, der sich auf den Fliesen und in den Fugen gesammelt hatte, schien auf einmal dickflüssiger zu sein. Wie Sirup oder …
Blut!
»Hallo, Carla.«
Eine seltsam fremde und gleichzeitig vertraute Stimme hinter ihr. Noch immer benommen von ihrer rasanten Fahrt durch die Abgründe der Hölle, sah sich Carla nach der Stimme um. Vor Freude machte ihr Herz einen Satz.
»Nathalie!«
Nathalie stand in der Tür, die Arme nach ihr ausgestreckt und lächelte. »Komm zu mir.«
So schnell es ihre zitternden Knie erlaubten, sprang Carla auf, und sie fielen sich in die Arme.
»O Nathalie, du hast mir so gefehlt!«, schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in Nathalies Haaren. Sie rochen feucht und ein wenig holzig, so wie der Nebel riechen musste, der draußen vor dem Badezimmerfenster aufgestiegen war. Oder wie Schnee, der sich auf Kleider gelegt hat und in warmer Luft schmilzt.
Sie spürte Nathalies Umarmung. Herzlich und innig, auch wenn es ein wenig seltsam war, dass Nathalies Stimme tiefer klang und ihre Statur größer war als früher. Vielleicht waren dies aber nur trügerische Erinnerungen. Wie schnell vergaß man doch den wahren Klang der Stimme eines Verstorbenen oder wie es sich angefühlt hatte, als man diesen Mensch zum letzten Mal im Arm gehalten hatte.
»Was machst du hier?«, fragte Carla, ihre Wange noch immer fest an die Schulter ihrer Freundin gepresst. »Du bist doch tot.«
»In deinem Herzen lebe ich noch«, sagte Nathalie mit ihrer tiefen Stimme. »Und das ist es doch, was zählt, oder?«
»Bleib hier«, flüsterte Carla und presste sie noch fester an sich. »Geh nicht wieder weg, ja?«
»Das kann ich nicht«, sagte Nathalie und löste sich aus ihrer Umarmung.
Sie schob Carla ein Stück von sich und sah sie lächelnd an. Carla liebte die beiden Grübchen, die sich in ihren Wangen bildeten, wenn sie lächelte. »Aber du kannst mit mir kommen, wenn du willst. Willst du?«
Und ob Carla das wollte. »Du bist doch der einzige Mensch, der mir geblieben ist«, flüsterte sie und nickte. »Wenn ich dich jetzt gehen lasse, bin ich wieder allein.«
Nathalie nahm Carlas Hände. »Sie haben dich angelogen«, sagte sie und begann, Carlas Bandagen von den Handgelenken zu lösen. »Sie haben dir erzählt, ich sei verzweifelt gewesen. Sie haben gesagt, ich sei verrückt gewesen.«
Nathalie ließ die Mullbinden zu Boden fallen und sah Carla tief in die Augen. »Das war gelogen. Ich bin nur an einen viel schöneren Ort gegangen. Dorthin, wo all die Menschen auf mich gewartet haben, die ich geliebt habe.«
Carla spürte den Druck von Nathalies Daumen auf ihren Unterarmen. »Komm mit mir, Carla, dann sind wir alle wieder zusammen.«
»Ja«, sagte Carla, und ihre Stimme klang, als käme sie aus weiter Ferne. »Was muss ich dafür tun?«
Sie spürte, wie Nathalie ihr etwas in die Hand legte.
Es fühlte sich glatt an. Sie senkte den Blick und sah eine Glasscherbe in ihrer Hand.
»Diesmal machen wir es richtig«, flüsterte ihr Nathalie zu und führte ihre Hand mit der Scherbe zu der Vene, die unter dem Druck ihres Daumens angeschwollen war.
»Ich habe Angst«, sagte Carla.
»Das musst du nicht.«
Die Spitze der Scherbe drang ein kleines Stück über Carlas vernarbter Wunde in die Vene ein. Carla fühlte keinen Schmerz, sie spürte nur ein sanftes Vibrieren wie von einem hohen Ton. Nathalie führte ihre Hand, und Carla ließ die Scherbe durch ihren Arm nach oben gleiten, langsam und stetig bis zur Armbeuge.
Dunkles Blut quoll aus der aufklaffenden Wunde. Carla spürte die Wärme ihres Blutes und sah zu Nathalie auf.
»Du willst so sein wie ich«, flüsterte Nathalie. »Aber du bist nicht wie ich. Du bist auch nicht wie Alexandra und erst recht nicht wie Carmen.«
»Von wem redest du?«
»Pssst!«, zischte ihr Nathalie zu.
Carla sah gebannt in ihre Augen, in denen es geheimnisvoll funkelte und glitzerte, als wären es Edelsteine, in denen sich das Licht brach.
Was passiert mit mir?, meldete sich eine träge Stimme in ihrem Kopf. Was tue ich da? Das ist nicht mein Badezimmer. Es ist ein anderes Zimmer. Ich kenne es. Von irgendwoher kenne ich es .
»Ich
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