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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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ja nicht, sonst schick ich dich morgen Nacht allein hierher.«
    »Okay«, sagte Sven, und diesmal klang er wirklich wie ein Großer. »Aber komm gleich wieder.«
    »Logo.«
    Jan spurtete los, suchte einen Platz hinter einer großen Tanne und zog den Reißverschluss auf. Himmel, war das knapp gewesen. Er hatte das Gefühl, seine Blase müsse platzen. Sein Strahl wollte und wollte kein Ende nehmen und grub ein großes dampfendes Loch in den Schnee.
    Als er endlich fertig war, zog er rasch den Reißverschluss
zu, streifte seine Handschuhe wieder über und schlich zurück zur Parkbank - langsam, Schritt für Schritt, um keine Fremdgeräusche aufs Band zu bringen.
    Inzwischen schneite es wie verrückt. Sein Vater würde morgen früh fluchen, weil er wieder Schnee schaufeln musste.
    Jan war nur wenige Meter gegangen, als er abrupt stehen blieb. Wo war Sven? Eine Sekunde lang hatte er geglaubt, er hätte ihn wegen des dichten Schneefalls übersehen - aber die Bank war leer.
    Da war nur das Diktiergerät. Es war bereits von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, wie auch die ganze Bank, so dass man hätte glauben können, dass dort nie jemand gesessen hätte. Vielleicht hatte Sven ebenfalls pinkeln müssen? Aber dann wäre er gewiss Jan gefolgt.
    Jan sah sich um. In dem Schneetreiben konnte er keinerlei Spuren erkennen.
    Vielleicht ist es ihm zu dumm geworden, und er ist heimgelaufen?
    Nein, so viel Schneid traute er ihm bei aller Bruderliebe nicht zu.
    Sven ist verschwunden. Er ist nicht weggegangen, er ist verschwunden . Es muss ihm etwas zugestoßen sein!
    Jan geriet in Panik. So aberwitzig der Gedanke auch war - was sollte seinem Bruder denn während der zwei oder drei Minuten, die er fortgewesen war, passiert sein? -, so hatte diese Vorstellung dennoch eine schreckliche Logik.
    »Sven!« Sein Schrei hallte durch den Park. »Herrgott nochmal, Sven! Wo steckst du?«
    Keine Antwort.
    »He, komm schon, Zwerg, lass den Scheiß! Sag was!«
    Stille.

    »Sven, verdammt nochmal!«
    Eisige Stille.
    Jan fing an, wie von Sinnen zu schreien. Doch ganz gleich, wie sehr er auch schrie, Sven gab keine Antwort. Da war nur diese kalte, gleichgültige Stille, die sich in Jans Kopf festfraß wie ein bösartiges Tier. Sie grub ihre stählernen Zähne in sein Gehirn und verbiss sich darin.
    Er schrie und schrie und schrie …
     
    Dann war der Park verschwunden.
    Der Schnee war verschwunden.
    Sven war verschwunden.
     
    Jan fand sich auf einem roten Teppichboden liegend wieder.
    »Ruhig, ganz ruhig«, sagte Rauh und half Jan auf die Beine.
    Jan fühlte sich elend und verwirrt. Rauh führte ihn zum Sessel zurück, und Jan ließ sich nieder.
    »Hier«, sagte Rauh und hielt Jan ein Glas entgegen. »Trinken Sie etwas Wasser.«
    Jan leerte das Glas in einem Zug. Er fühlte sich wie ausgedörrt, und das Wasser war eine Wohltat.
    »Ich glaube, wir lassen es für heute dabei bewenden«, sagte Rauh und setzte sich wieder auf den Stuhl. »Sie waren sehr tapfer, Jan. Außergewöhnlich tapfer sogar. Für eine erste Sitzung haben Sie sich sehr weit vorgewagt.«
    »Trotzdem weiß ich jetzt nicht mehr als vorher«, entgegnete Jan und stellte das Glas neben eine der verstummten Klangschalen. Seine Hand zitterte.
    Rauh nickte. »Darum geht es vorerst auch gar nicht. Wichtig ist, dass Sie sich Ihrer Vergangenheit stellen und
sie sich so ansehen, wie sie tatsächlich gewesen ist. Erst danach bekommen Sie die Antworten.«
    Jan nickte müde und stemmte sich aus dem Sessel. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber für heute habe ich genug. Ich brauche jetzt Ruhe und frische Luft.«
    Auch Rauh erhob sich. »Natürlich. Lassen Sie das alles erst einmal auf sich wirken. Wir sollten uns aber so bald wie möglich wiedersehen, um über den weiteren Verlauf der Behandlung zu sprechen.«
    Jan schlüpfte in seine Jacke und ging zur Tür. »Ich werde mich bei Ihnen melden.«
    Rauh verabschiedete ihn mit einem freundlichen Lächeln, doch Jan glaubte, dass Rauh ihn durchschaut hatte. Der Therapeut wusste, dass Jan nicht bereit war, mit ihm über das zu sprechen, was nach jener Nacht geschehen war.

12
    Für die kommende Nacht war im Radio ein starker Kälteeinbruch vorhergesagt worden, und schon jetzt war es bitterkalt. Frierend trat Jan auf der Stelle, rieb sich die behandschuhten Hände und beobachtete ungeduldig die Zapfsäule, die ein gleichgültiges Summen von sich gab.
    Dabei hatte es einst eine Zeit gegeben, zu der sich Jan gewünscht hatte, das Tanken würde noch sehr

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