Kalte Stille - Kalte Stille
zitterten, als habe er Schüttelfrost.
»Ey, mach hinne, Hubbi«, drängte der Kassierer. »Ich hab keinen Bock, wegen dir wieder stundenlang zu lüften. Hier drin isses sowieso schon arschkalt.«
Das Pickelgesicht hatte kaum ausgesprochen, als dem zitternden Alten der Geldbeutel entglitt. Münzen klimperten über den Boden.
»Och nee jetzt!« Der Kassierer schüttelte genervt den Kopf, machte aber keinerlei Anstalten, hinter seinem Tresen hervorzukommen, um zu helfen.
»Warten Sie, das haben wir gleich.« Jan trat zu dem Alten und half ihm, die Münzen aufzuheben. Der alte Mann suchte akribisch jeden Winkel des Bodens ab. Erst als Jan und er nach derselben Euromünze griffen, die
unter einen Zeitschriftenständer gekullert war, blickte er zu Jan auf.
Jan sah in ein Gesicht, das von jahrzehntelangem starken Trinken gezeichnet war. Gelblich verfärbte Augen zeugten von einem schweren Leberschaden, und die schlaffe, von unzähligen Äderchen durchzogene Haut hing an dem kantigen Schädel wie ein graues, faltiges Laken. Irgendwoher kannte Jan diesen Mann, er kam nur nicht drauf, woher.
Der Alte grunzte ein kaum hörbares »Danke«, zählte zitternd eine Handvoll Münzen ab und legte sie auf den Tresen. Dann schnappte er sich den Flachmann und leerte ihn auf seinem Weg hinaus zum Fahrrad.
»Wer war das?«, fragte Jan, während er bezahlte.
»Keine Ahnung.« Das Pickelgesicht zuckte die Schultern. »Zu dem sagt jeder nur Hubbi. Kommt immer erst, wenn’s dunkel ist und kriegt kaum die Zähne auseinander. Irgend so ein Schluckspecht halt. Darf’s sonst noch was sein?«
Jan sah auf das riesige Zigarettenregal und überlegte. Dann nickte er. »Geben Sie mir noch zwei Stangen West.«
Das Pickelgesicht drehte sich um und machte sich am Regal zu schaffen, in einem Tempo, als wolle er einen neuen Rekord in Sachen Langsamkeit aufstellen. Endlich reichte er Jan die Zigaretten. Im selben Moment riss er die Augen auf.
»Ach du heilige Scheiße!«
Jan sah den jungen Mann ratlos an, doch dann begriff er, dass sich irgendwas hinter seinem Rücken abspielte.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, kreischte der Kassierer. »Nicht schon wieder!«
Mit einem Tempo, das Jan ihm nicht zugetraut hätte,
stürmte er hinter dem Verkaufstresen hervor und zur Tür hinaus.
Jan sah ihm nach, und nun erkannte auch er die vornübergebeugte Gestalt, die sich an eben der Stelle erbrach, an der noch vor wenigen Minuten das Fahrrad von Hubbi dem Schluckspecht gestanden hatte.
Da so schnell nicht mit der Rückkehr des Kassierers zu rechnen war, legte ihm Jan das abgezählte Geld auf die Theke und ging nach draußen. Dort stand das Pickelgesicht neben einem etwa gleichaltrigen Mann, der noch immer den Inhalt seines Magens auf den Teer würgte.
»Du Sau!«, schrie ihn der Kassierer an. »Warum kotzt du nicht vor der Kneipe, hä?«
Jan sah eine kleine Ansammlung von Männern, die rauchend vor der »Zapfsäule« standen und lachend zu ihnen herüberapplaudierten.
»Beschissenes Säuferpack!«, schrie sie der Kassierer an. Dann wandte er sich Jan zu. »Wenn Sie wüssten, wie oft ich hier diesen Dreck aufwischen muss. Warum saufen die Kerle, wenn sie’s nicht vertragen?«
Jan entgegnete nichts, sondern sah erstaunt zu dem jungen Mann, der nun den Kopf hob und sich die Speichelfäden mit dem Jackenärmel vom Ziegenbärtchen abwischte. Es war Ralf Steffens, sein ernster junger Kollege aus dem Krankenhaus.
Der Pfleger lallte etwas, das wie »Hallo, Doktor Forstner« klang, dann würgte er abermals und wäre fast in seine eigene Bescherung gefallen, hätte ihn Jan nicht im letzten Moment am Kragen gepackt.
Erstaunt hob der Kassierer die Brauen. »Sie kennen den?«
Jan ignorierte ihn und stützte Ralf, der schon wieder umzukippen drohte.
»Na, wird’s gehen?«
Ralf versuchte ihn anzusehen, doch es gelang ihm nicht, den Blick auf Jan zu fokussieren.
Jan seufzte. Den jungen Mann mit beiden Armen umfassend, führte er ihn zu seinem Wagen. Mit einiger Mühe gelang es ihm, die Beifahrertür zu öffnen und den Betrunkenen ins Auto zu hieven. Dann ließ er die Seitenscheibe herunter.
»Wenn Ihnen wieder schlecht wird, dann bitte aus dem Fenster, okay?«
Doch Ralf hörte ihn nicht. Er war sofort eingenickt, kaum dass er in Jans Wagen saß.
Na prima, dachte Jan, und ich weiß nicht mal, wo er wohnt.
»Hey, Sie haben was vergessen!«
Das Pickelgesicht kam auf ihn zu und reichte ihm die Zigaretten. Dann machte er eine angeekelte Geste in Ralfs
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