Kalte Stille - Kalte Stille
Klinikaufenthalt nicht.«
Kröger lehnte sich in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände vor seinem stattlichen Bauch. »Sehen Sie, Frau Weller, ich verstehe sehr wohl, dass der Freitod Ihrer Freundin für Sie schwer zu akzeptieren ist. Aber ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte. So wie ich das sehe, war Frau Köppler zum Zeitpunkt ihres Todes nicht
zurechnungsfähig, ganz gleich, was die Gründe dafür gewesen sein mögen. Der Text dieser E-Mail und die Tatsache, dass Frau Köppler kurz zuvor noch in psychiatrischer Behandlung gewesen ist, bestätigen mir diese Annahme. Mehr kann ich Ihnen zu diesem Vorfall leider nicht sagen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass Ihre Freundin nicht lange leiden musste. Sie ist noch vor dem Eintreffen des Rettungswagens gestorben. Das hat uns Dr. Forstner bestätigt, der zufällig am Unfallort war. Er war gerade auf dem Weg zur Arbeit.«
Carla bekam große Augen. »Forstner? Ist sein Vorname Jan?«
Kröger spähte in die Akte, dann nickte er. »Ja, so heißt er. Dr. Jan Forstner. Bei dem Namen habe ich auch erst gestutzt. Schlimme Sache, was dieser Familie zugestoßen ist. Damals war ich noch ein junger Streifenpolizist.« Er machte eine betretene Geste. »Nun, Dr. Forstner ist erst seit kurzem wieder in Fahlenberg. Kennen Sie ihn?«
Ohne die Frage des Polizeihauptmeisters zu beantworten, erhob sie sich. Sie verabschiedete sich und verließ das Präsidium. Dort stand sie noch eine Weile, den Mantelkragen gegen den eisigen Wind hochgeschlagen, und dachte nach.
19
Es war bereits dunkel, als Jan das Haus von Hubert Amstner erreichte. Er parkte neben dem Bahnübergang und stellte den Motor ab. Eisige Windböen zerrten an
seinen Haaren, als er über den schneebedeckten Kiesweg auf das Haus zu stapfte.
Seit seinen Kindertagen war er nicht mehr in dieser Gegend gewesen. Damals hatte das kleine Gebäude noch leer gestanden. Es war das Relikt einer längst vergangenen Zeit; einer Zeit, in der es noch Bahnwärter gegeben hatte, die mit ihren Familien in kleinen Häuschen neben Blockstellen, Abzweigen und Weichen gewohnt hatten, um dort die Arbeit zu tun, die heutzutage von computergesteuerten Stellwerken erledigt wurde.
Der Mittelteil des Hauses hatte gerade einmal Zimmerbreite, links und rechts fanden sich kaum größere Anbauten. In dem rechten, das wusste Jan, befand sich die Weichenstellanlage. Jetzt war das Fenster mit Brettern vernagelt. Der Putz des alten Gemäuers schien inzwischen nur noch vom dichten Efeugeflecht an den Wänden gehalten zu werden.
Etwas abgesetzt stand ein maroder Holzschuppen, der schon zu Jans Kindertagen ausgesehen hatte, als werde er bald in sich zusammenbrechen, und der nun mit letzter Kraft gegen die Schneelast auf seinem Dach ankämpfte.
Die Luft war erfüllt von einem penetranten Brandgeruch. Wie es schien, verheizte der alte Hubert Amstner alles, was in seinen Ofen passte, ganz gleich, ob es legal war oder nicht. Im Haus war es dunkel, aber im Hinterhof, der zum Schuppen zeigte, brannte Licht. Jan durchschritt das knarrende Gartentor und ging den schmalen Weg um das Haus herum.
Kurz bevor er den Hof erreichte, ließ ihn ein Schrei zusammenfahren. Erschrocken blieb Jan stehen. Er lauschte und überlegte, ob er sich getäuscht habe, doch da hörte er wieder einen Schrei. Dann folgte ein langgezogenes
Wimmern. Es klang wie die Stimme eines kleinen Kindes, das furchtbare Angst hatte. Jan spürte, wie sich ihm die Härchen auf den Armen aufstellten. Was, zum Teufel, ging da vor sich?
Noch bevor er wusste, was er tun sollte, folgte ein hölzerner Schlag. Die gequälte Kinderstimme verstummte abrupt. Jan schnappte sich den nächstbesten Gegenstand, den er in die Finger bekam - eine rostige Schneeschaufel, die an einer Mülltonne lehnte -, und lief in den Hof. Mit wenigen Schritten war er dort.
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was er sah. Hubert Amstner stand neben einem Hackklotz. In der rechten Hand hielt er eine schwere Holzkeule. Von seiner Linken baumelte ein lebloser Körper.
Ein Stallhase!
Jan erinnerte sich, wie ihm sein Großvater einmal erzählt hatte, dass Hasen wie kleine Kinder schrien, wenn sie Schmerzen oder Todesangst litten. Damals hatte Jan das für ein Ammenmärchen gehalten, aber nun wusste er, dass sein Großvater die Wahrheit gesagt hatte.
Amstner warf seine Keule in den Schnee und sah Jan abschätzend an.
»Kommst du zum Schneeräumen?«
Jan sah auf die Schaufel in seiner Hand, dann stellte er sie an
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