Kalte Stille - Kalte Stille
inhalieren. Aber dann …
Liebwerk grunzte. Diese Zigarette schmeckte ihm überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie stank entsetzlich. Wie ein brennender Mülleimer.
Hustend erwachte er, den qualmigen Gestank noch immer in der Nase. Er fluchte lautstark in die Dunkelheit, als ihm schlagartig bewusst wurde, dass er den Qualm nicht geträumt hatte. Dieser beißende Gestank war echt. Keuchend fuhr er hoch und starrte entsetzt auf das flackernde Licht unter dem Türspalt.
»Feuer!«
35
Es dauerte bis in die frühen Morgenstunden, ehe die Feuerwehr den Brand vollständig gelöscht hatte. Nur wenige Minuten nachdem der Alarm ausgelöst worden war, traf der Werkschutz der Waldklinik ein und erhielt kurz darauf Unterstützung von der Fahlenberger Freiwilligen Feuerwehr.
Die Männer hatten Mühe, den Brand unter Kontrolle
zu bekommen. Der Altbau des Verwaltungsgebäudes war zwar aus dickem Stein errichtet worden, aber die zahlreichen Holztäfelungen, Regale, Akten und Papierberge im Untergeschoss hatten den Flammen reichlich Nahrung geboten.
Als man am Samstagmorgen den Schaden begutachtete, stellte man fest, dass tatsächlich nur das Archiv in Mitleidenschaft gezogen worden war. Der eigentliche Verwaltungstrakt war nicht betroffen, und der Betrieb konnte aufrechterhalten werden.
An diesem Tag, um fünf Uhr morgens, machte der Hausmeister beim Schneeräumen eine Entdeckung. Paul Wisniewski sah den alten Mercedes auf dem Personalparkplatz. Er sah Aschereste und verkohlte Papierstückchen auf dem Auto liegen, die vom Qualm über weite Teile des Klinikgeländes getragen worden waren. Daraus schloss er, dass das Auto während der Nacht nicht bewegt worden war.
Etwa zur gleichen Zeit fand man die verkohlte Leiche eines Mannes im großen Archivraum. Der Mann, bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Hieronymus Liebwerk handelte, musste versucht haben, sich hinter einem hohen Kartonstapel in Sicherheit zu bringen. Als die Flammen schließlich durch den Türspalt in den großen Raum gelangt waren, musste Liebwerk schon tot gewesen sein. Er war in dem fensterlosen Raum erstickt, lange bevor das Feuer über seinen Körper hergefallen war.
Als Brandherd wurde Liebwerks Schreibtisch ausgemacht. Man vermutete, dass eine schwelende Zigarettenkippe einen Aktenstapel entzündet und so das Feuer verursacht hatte. Da der Weg zum Ausgang durch die Flammen versperrt gewesen war, musste der Archivar in den großen Raum gelaufen sein. Dort hatte er in seiner
Panik die Tür so heftig zugezogen, dass die veraltete Türklinke aus dem Schloss gerutscht war.
Das war sein Todesurteil gewesen.
36
An diesem Morgen hatten sich zahlreiche Klinikmitarbeiter vor dem Eingang zum Archiv versammelt. Die Fassade war bis in die oberen Stockwerke verrußt.
»Wirklich schlimm«, sagte Dr. Raimund Fleischer, der sich an einigen Mitarbeitern vorbei zu Jan vorgedrängt hatte.
Jan nickte, und beide sahen sie zu dem Türbogen, an dem dicke Eiszapfen hingen - Überreste des Löschwassers, die wie die messerscharfen Zähne im geöffneten Maul eines prähistorischen Ungetüms wirkten.
Bei ihrer letzten Begegnung im Archiv hatte Liebwerk darauf bestanden, dass Jan nicht durch diesen Ausgang gehen sollte. Er hatte befürchtet, der mysteriöse Aktendieb könnte bemerken, dass sie ihm auf die Schliche gekommen waren.
Nun war Liebwerk tot. Polizei und Feuerwehr gingen von einem Unfall aus, verursacht durch Liebwerks fahrlässiges Verhalten. Wieder einer dieser Zufälle, an die Jan nicht recht glauben wollte. Aber außer der Erinnerung an die Furcht des Archivars hatte er nichts in der Hand, was die Unfalltheorie widerlegte.
»Hundertmal habe ich dem alten Trottel gesagt, dass er zum Rauchen ins Freie gehen soll«, sagte Fleischer wohl mehr zu sich selbst als zu Jan. »Wahrscheinlich
hätte ich ebenso gut von einer gehörlosen Kuh einen Handstand verlangen können.«
Er stieß einen Seufzer aus, und sein Atem stieg in einer dicken Wolke vor seinem Gesicht auf. Dann wandte er sich Jan zu, der ihn nur ratlos ansah. Der Professor schien sein Schweigen für Zustimmung zu halten.
»Das wird noch einigen Ärger mit sich bringen«, meinte er kopfschüttelnd. »Aber wenn ich Sie schon gerade sehe, Jan, sagen Sie, haben Sie morgen Abend schon etwas vor? Ich würde Sie gern zu uns zum Essen einladen, wenn es bei Ihnen passt.«
»Zum Essen?« Jan hatte kaum hingehört. »Ja, gern.« Er hatte Mühe, die nötige Begeisterung in seine Stimme zu legen. Liebwerks Tod
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