Kalte Wut
sie es getan hatte. Ich möchte sie mir noch einmal ansehen. Sie steckt in meiner Umhängetasche.«
»Weshalb noch einmal?« fragte Tweed. »Weil ich diesmal eine Lupe benutzen will, um zu sehen, ob mir irgend etwas entgangen ist.«
Über Passau hatte sich eine eiskalte Dezembernacht herabgesenkt.
In dem Restaurant oberhalb des Flußufers sah Newman abermals auf die Uhr. Um einen Vorwand dafür zu haben, daß er nach wie vor sitzen blieb, hatte er seine dritte Tasse Kaffee bestellt. Er machte sich Sorgen um Marier.
Eine Stunde zuvor, nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, hatte Marier erklärt, er würde auf den Kaffee verzichten. Er bestand darauf, allein einen Erkundungsgang zu unternehmen.
»Ein Mann fällt erheblich weniger auf als zwei«, hatte er argumentiert. »Unten am Ufer liegt ein Schlauchboot mit einem Außenbordmotor. Ich werde damit hinüberfahren und mir dieses Ding ein bißchen genauer ansehen.«
»Draußen ist es so still, daß die Wachen das Motorengeräusch hören werden«, hatte Newman eingewendet.
»Weshalb ich hoffe, daß es ein Paddel hat …«
›Dieses Ding‹ war die Kette riesiger Lastkähne, die am jenseitigen Ufer festgemacht hatte. Seit Mariers Verschwinden hatte Newman immer wieder einzelne Wachmänner gesehen, die auf den Kähnen patrouillierten und die Decks mit Taschenlampen ableuchteten. Bisher waren keine Anstalten zum Entladen getroffen worden, und Newman vermutete, daß sie auf Tageslicht warteten. Schließlich hielt er das Warten nicht mehr aus. Die Rechnung war bereits bezahlt, aber er hinterließ ein großzügiges Trinkgeld für den Kellner, der eine grüne Schürze trug und eine Weile zuvor in der Küche verschwunden war.
Er war die Treppe zu der Stelle hinuntergegangen, an der sein BMW und Mariers Renault standen, als er auf dem ihm am nächsten liegenden Kahn einen weiteren Wachmann sah, der seine Taschenlampe schwenkte. Er ging hinter seinem Wagen in Deckung, fluchte und wartete abermals. Er hatte sich gerade aufgerichtet, nachdem der Wachmann verschwunden war, als die Scheinwerfer eines aus Richtung München kommenden Wagens aufleuchteten. Der Wagen wurde langsamer, seine Scheinwerfer trafen auf den BMW, und Newman ging abermals in Deckung, jetzt mit seinem Smith & Wesson in der Hand. Der Wagen hielt an, eine Tür wurde geöffnet.
»Das ist Bobs Wagen«, sagte eine vertraute Stimme leise. »Ich frage mich, wo Bob selbst stecken mag?«
»Er ist hier«, sagte Newman und begrüßte Pete Nield und Harry Butler, die aus ihrem Citroen ausgestiegen waren. »Was in aller Welt führt Sie hierher?«
»Wir dachten, Sie könnten vielleicht eine helfende Hand brauchen«, sagte Nield. »Vielleicht sogar zwei helfende Hände.«
»Wir brauchen alle Hilfe, die wir bekommen können«, sagte Marier, aus der Dunkelheit am Donau-Ufer auftauchend. »In meinem Renault habe ich eine Menge Sprengstoff mit Zeitzündern und Detonatoren, aber wir brauchen mehr, um diese Fracht hochzujagen.«
»Was für eine Fracht?« erkundigte sich Newman.
»Ich habe auf dreien der Kähne mehrere Luken aufgemacht.
Auf allen dreien dieselbe Ladung. Sprengstoff, Kalaschnikows, Handgranaten und Boden-Luft-Raketen samt den dazugehörigen Abschußvorrichtungen. Auf fast alle Kisten ist das magische Wort
Danubex
aufgestempelt. Ich glaube nicht, daß Mr. Walvis ein Feuerwerk bei einem Wohltätigkeitsball plant …«
Butler und Marier, die Sprengstoffexperten, arbeiteten in ihren Wagen, dem Renault und dem Citroen, wie die Besessenen und die meiste Zeit nur nach Gefühl. Newman fungierte als Aufpasser, aber Passau schien jetzt, in der Dunkelheit, noch verlassener zu sein, als es am Tage gewirkt hatte.
Als sie die Sprengladungen sorgfältig in Rucksäcken verstaut hatten, warf Newman einen Blick in den Renault. Marier und Butler nahmen es nicht zur Kenntnis – sie waren vollauf damit beschäftigt, alles so unterzubringen, daß sich in den Rucksäcken nichts bewegen konnte.
»Wie wollen wir all dieses Zeug in einem Schlauchboot mit nur einem einzigen Paddel über die Donau bringen?«
»Brauchen wir nicht«, erklärte Marier. »Ich habe drei Schlauchboote entdeckt, jedes mit zwei Paddeln. Und der Grund dafür, daß ich jetzt Blasen an den Händen habe, ist der, daß ich sie den Treidelpfad entlang zu einem weiter oben gelegenen Anleger geschleppt habe. Weshalb? Damit wir die drei Schlauchboote in die Flußmitte treiben lassen können, bevor wir die Kähne erreichen, und dann benutzen wir die Paddel, um
Weitere Kostenlose Bücher