Kalte Wut
stehen. Er mußte wirklich Mariers Kontaktperson aufsuchen und sich eine Waffe beschaffen, vielleicht sogar mehrere.
»Sehen Sie sich nicht um«, sagte eine vertraute Stimme. »Wir werden beobachtet«, fuhr Ziggy Palewski fort, »aber im Moment sind wir in der Menge verborgen.«
»Können wir sie abhängen?« fragte Cardon gelassen.
»Mühelos. Ich habe draußen einen grauen BMW. An der Windschutzscheibe hängt ein Maskottchen – ein Plüschgnom. Sie gehen hinaus und steigen sofort auf der Beifahrerseite ein.«
»Wird gemacht. Was ist mit den Beobachtern?«
»Die werden einen Zusammenstoß mit zwei kräftigen Damen mit schwergefüllten Einkaufstaschen haben. Bitte gehen Sie jetzt los …«
Nach der stickigen Wärme des Postamtes traf die bittere Kälte Cardon wie ein Schlag. Er ging vorsichtig – der schneebedeckte Gehsteig war vereist. Zu seiner Rechten sah er am Bordstein den Volvo, der ihm bereits vom Flughafen aus gefolgt war. Er wendete sich nach links und sah zu seiner Verblüffung Palewski auf der anderen Seite des BMW, wie er gerade die Tür aufschloß.
Der Motor lief bereits, als er hineinsprang und die Tür zuschlug.
Der Wagen setzte sich in Bewegung.
Philip war beeindruckt von der Schnelligkeit des Gnoms – und von seinem Sinn für Humor. Ein Miniaturgnom als Maskottchen im Wagen deutete auf einen Mann, der über sich selbst lachen konnte.
»Überflüssige Frage«, sagte Philip, »aber woher haben Sie gewußt, daß Sie mich in der Hauptpost finden würden?«
»Sie wohnen im Platzl. Ich bin Ihnen gestern gefolgt.«
»Im allgemeinen merke ich, wenn Leute das tun.«
»Ich habe diese Kunst seit vielen Jahren praktiziert. Sie hilft mir bei meinem Job. Heute morgen stand ich in der Nähe des Hinterausgangs des Platzl. Ich sah, wie Sie in ein Taxi stiegen und bin Ihnen einfach zur Hauptpost gefolgt. Ich wußte, daß zwei Männer hinter ihnen her waren, die möglicherweise Ihrer Gesundheit nicht zuträglich sind.«
»Die hätte ich eigentlich auch bemerken müssen«, sagte Philip grimmig.
»Dazu hatten Sie kaum eine Chance. Sie haben sich ein gutes Stück hinter meinem BMW gehalten. Ich fürchte, die haben es auf Sie abgesehen. Die normale Technik wäre gewesen, Sie zu überfahren und sich dann aus dem Staub zu machen.«
Überfahren und sich dann aus dem Staub machen …
Philip erinnerte sich an den Tag vor einem Jahr, als Jean in der Fulham Road beinahe auf diese Weise ums Leben gekommen wäre.
Es war ihr gelungen, noch rechtzeitig beiseite zu springen, aber sie war über den Bordstein gestolpert und mit dem Kopf aufs Pflaster aufgeschlagen. Sie hatte mehrere Tage mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus gelegen.
Sein Gefühl drohte ihn zu überwältigen. Er fühlte sich schuldig.
Er erinnerte sich an das, was sie am Tag vor ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zu ihm gesagt hatte. Sie hatte im Bett gelegen, als er ihr Zimmer betrat.
Sie hatten sich ein paar Minuten unterhalten. Dann hatte Jean, an die Decke starrend, die Worte ausgesprochen, die ihm jetzt wieder in den Sinn kamen und ihn mit einem grauenhaften Schuldgefühl erfüllten.
»Wir werden ein normales Leben führen …«
Damals war ihm die Bemerkung seltsam vorgekommen, aber dann war eine Schwester im Zimmer erschienen, um ihren Blutdruck zu messen. Und kurz nach seiner Rückkehr in ihr Haus in Surrey war Cardon von der Aufgabe, mit der Tweed ihn betraut hatte, so in Anspruch genommen gewesen, daß er nie dazu gekommen war, sie zu fragen, was sie damit gemeint hatte.
Später beschloß er, sie nicht zu fragen. Er hatte das starke Gefühl, daß Jean nicht wollte, daß er sich an das erinnerte, was sie gesagt hatte. Er wendete sich von Palewski ab, weil seine Augen sich mit Tränen füllten. Oh Gott, wenn er sie nur verstanden hätte!
Jean war klar gewesen, daß das Beinahe-Überfahren-werden kein Unfall gewesen war, daß dahinter die Absicht gesteckt hatte, sie umzubringen. Weil sie nicht wollte, daß er sich Sorgen machte, hatte sie dieses Wissen für sich behalten. Ja, genauso war es gewesen, und es war typisch für ihre Charakterstärke.
Er hatte nicht über die Intuition verfügt zu wissen, daß etwas nicht in Ordnung war. Nein, das stimmte nicht ganz. Hin und wieder hatte er sich an ihre Worte erinnert, aber er hatte gewußt, daß sie nicht wollte, daß er etwas sagte. Also hatten sie mit dem Wissen, daß ein Todesurteil über ihr schwebte, daß sie jederzeit sterben konnte, ein normales Leben geführt.
Als er aus
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