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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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schnell weggelaufen«, sagt Wolfi noch.
    »Warum heimlich?«, frage ich.
    Eine vernünftige Erklärung findet keiner von uns. Schließlich meint Huppe: »Vielleicht dürfen die nicht...«
    Redlich teilen wir uns alle das Glücksgeschenk.
    Und abends kommen wir dann aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Fast alle Frauen bringen etwas mit! Mama holt unter ihrer Jacke eine Hand voll Möhren hervor und präsentiert sie uns.
    »Vom Gärtner!«, sagt sie. »Aber heimlich!«
    »Heimlich?«, wundert sich Huppe noch einmal und hofft, vielleicht jetzt eine Erklärung zu bekommen.
    »Kontakt zu uns Deutschen ist verboten. Und uns zu helfen erst recht!«
    »Und sie tun es trotzdem?«
    Mama schluckt, ich glaube, weil sie gerührt ist.
     
    Ich wusste gar nicht, dass die frühere Bewohnerin der Kate auch unter uns ist. Sie hatte tatsächlich ein Versteck angelegt und jetzt hat sie es wahrhaftig für uns alle geöffnet. Es ist zwar nur wenig, was bei so vielen Menschen für jeden Einzelnen übrig bleibt, aber jeder Bissen hilft doch ein kleines Stückchen weiter. Nun gibt es – wenn das, was die Dorfbewohner uns zustecken, nicht reicht – abends ein paar Würfel Speck extra oder eine hauchdünn geschnittene Scheibe Wurst.
    Außerdem hat die Frau ein Säckchen mit Roggenkörnern und davon bekommen wir Kinder jeden Morgen eine Hand voll. Wir nehmen immer nur ein paar auf einmal und dann kann man endlos darauf herumkauen. Erst ist es körnig im Mund und schmeckt ganz gewöhnlich nach Getreide. Dann quillt es auf und wird ein bisschen elastisch wie Gummi. Und wenn man es dann immer noch nicht hinunterschluckt, sondern weiter darauf kaut, dann fängt es an, süß zu schmecken. Seit wir das herausgefunden haben, gibt es keinen mehr, der nicht so lange wartet, bis es süß wird.
     
    Uns ist es langweilig wie immer. Plötzlich hat Huppe einen Einfall.
    »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist gelb«, sagt er.
    Und sofort spielen wir mit.
    »Mein Hemd!«
    »Nein.«
    »Das Stroh!«
    »Ja.«
    Zu leicht! Aber es gibt einfach keine Farben hier, alles ist entweder weiß oder grau, wobei das Weiß eigentlich auch nicht viel mehr als ein Hellgrau ist.
    Da kommt mir eine Idee: »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist rot!«
    »Rot?«
    Sie rätseln.
    »Ich sehe kein Rot!«, sagt einer.
    Alle suchen.
    »Mein Mund!«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Ich innendrin!«, meint Huppe erwartungsvoll.
    Auch nicht.
    Keiner kommt darauf, bis ich es auflöse: »Das Feuer, das da nicht brennt!«
    »Das gilt nicht!«, ruft es von allen Seiten.
    Aber eines von den Mädchen sagt: »Doch«, und gibt gleich das nächste Rätsel auf: »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist braun.«
    Wir schlagen alles Mögliche vor, aber sie schüttelt immer nur den Kopf.
    Schließlich sagt sie: »Ein Pferd! – Und zwar das Pferd, auf dem ich hier wegreite!«
    So reiten wir wirklich der Traurigkeit unseres öden Alltags davon!
    Mit der Zeit finden wir noch mehr Spiele. Und dann erzählen wir uns Märchen. Meine Lieblingsmärchen waren immer »Rapunzel« und »Schneeweißchen und Rosenrot«. Die habe ich fast auswendig gekonnt und Lisa immer verbessert, wenn sie beim Vorlesen ein falsches Wort gesagt hat. Das ist zwar schon eine Weile her, aber trotzdem kann ich sie noch so erzählen, dass es fast wie aus dem Märchenbuch klingt.
    »Noch eins!«, ruft jemand, als ich fertig bin, und so erzähle ich auch die, die ich nicht so gut kann. Aber alle lauschen ganz gebannt und wollen gar nicht, dass ich aufhöre.
    Wenn das so bleibt, werde ich hier noch eine echte Märchentante!
     
    Es ist März geworden und wir sind umgezogen. Eine großartige Verbesserung ist das nicht, denn wir sind jetzt im Kohlenkeller der ehemaligen Landwirtschaftsschule. Er liegt nahe an einem Park mit einem kleinen See, wo ich früher immer gern gewesen bin. Eigentlich ist es gar kein Keller, sondern ein allein stehender, etwas tiefer in der Erde liegender Flachbau. Die letzten Kohlen hat man herausgeschaufelt und den schwarzen Staub haben wir notdürftig mit dem Besen fortgekehrt. Anschließend kam eine Lage Stroh auf den Boden und das ist jetzt unser Zuhause.
    Insgesamt sind es drei kleine Räume, zu denen man ein paar Stufen hinuntergehen muss. Und da wohnen jetzt fünfzig Menschen. Wir sind zu etwa zwanzig Personen in dem größten der Räume. In seiner Mitte steht immerhin ein Kochkessel, dessen Ofenrohr direkt durch das Dach hinaus ins Freie führt.
    Unser Platz ist unter einem der

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