Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
drei Fenster. Sie sind vergittert und Mama sagt, das ist gut so, denn da kommt niemand so leicht herein. Ein Klo gibt es auch hier nicht, dazu muss man hinaus in die Büsche. Zum Waschen haben wir eine einzige kleine Waschschüssel, die natürlich immer gerade von jemandem benutzt wird. Das Wasser holen wir aus dem See im Park.
Inzwischen bekommen wir auch etwas zu essen: ein paar Kartoffeln, die in Wasser gekocht werden. Erst hatten wir nicht mal Salz, aber als eine der Frauen danach gefragt hat, haben sie uns wenigstens Viehsalz gegeben. Das ist ungereinigt und ganz rot, wir haben es früher nur zum Streuen bei Glatteis benutzt. Jetzt wird es in Wasser aufgelöst und dann vorsichtig von dem abgesetzten roten Schlamm abgegossen. Immerhin schmecken die Kartoffeln jetzt nach was.
Aber leben könnten wir von dem bisschen, was wir offiziell zugeteilt bekommen, nicht. Und wenn uns nicht die Dorfbewohner immer wieder etwas zustecken würden, sähe es trübe aus. Ich staune wirklich, dass sie es immer wieder tun, obwohl es verboten ist. Und ich empfinde umso mehr Dankbarkeit, als mir immer klarer wird, wie wenig selbstverständlich das ist. Vor allem nach dem, was Wacek Mama erzählt hat.
Gekocht wird immer am Abend und nur dann wird das Feuer unter dem Kessel angezündet. Brennmaterial ist knapp und meistens bringen es die Frauen irgendwoher mit. Sie verstecken es unter ihren Mänteln, damit man es nicht sieht. Oft ist es Torf, manchmal auch ein paar Äste. Dünne Zweige werden immer extra gestapelt, weil man sie zum Anzünden braucht.
Das Kochen besorgt die alte Staffa, eine große, knochige Frau von schon mehr als siebzig Jahren. Sie muss genauso hart arbeiten wie die anderen und wird kein bisschen geschont. Was ich an ihr bewundere, ist, dass sie neben der harten Arbeit auch noch die Kraft aufbringt, alle immer wieder zu trösten und ihnen Mut zuzusprechen.
»Du schaffst es!«, sagt sie, wenn jemand wieder einmal ganz unten angekommen ist. »Und deine Kinder schaffen es auch!«
Das ist wirklich das Schlimmste: Dass man überhaupt nicht weiß, wie es weitergeht! Müssen wir noch lange hier bleiben? Werden sie uns irgendwann doch noch verhungern lassen? Was ist, wenn jemand krank wird?
Die Unsicherheit lässt uns nach Zeichen suchen, die auf die Zukunft deuten. Wir schauen nach den Wolken, und wenn wir etwas sehen, das wie ein Pferd aussieht, sind wir voller Hoffnung, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir bald »davonreiten« werden. Bei Sonnenuntergang aber sieht man über dem Horizont manchmal schmale Wolkenstreifen aus breiteren Haufen herausragen. Das sieht aus wie Panzer mit ihren Kanonen, und dann fürchten wir, dass der Krieg noch lange nicht zu Ende sein wird.
Andere lassen sich von der alten Staffa aus der Hand lesen. Sie setzt sich mit ihnen vor die Tür, um ungestört zu sein, aber einmal konnte ich ein bisschen zuschauen. Lange sah Staffa sich die Falten und Linien auf der Hand an, dann sagte sie zu der Frau: »Du wirst deinen Mann lange nicht sehen.« Und nach einer Pause: »Aber er wird wiederkommen; später, viel später.«
Dann schaute sie wieder die Hand an und redete weiter: »Du wirst noch eine Weile hier arbeiten müssen, aber es wird besser werden. Eine Krankheit wartet auf dich; du wirst sie überstehen! Und ihr werdet auf eine lange Reise gehen, du und deine Kinder.«
Später hörte ich einmal, wie Mama sie fragte: »Glaubst du daran?«
Die Alte sah ihr eine Weile in die Augen, dann antwortete sie: »Es gibt ihnen doch Kraft...«
Und Mama nickte.
Die alte Staffa kann nicht nur kochen und aus der Hand lesen, sie kann auch zornig werden. Und wenn es sein muss, zürnt sie sogar mit Gott!
Heute Abend kommen einige der Frauen ganz zerschunden von der Arbeit, weil sie von der Miliz wieder misshandelt worden sind. Als sie unter Tränen den Keller betreten, hebt die alte Staffa betend die Hände zum Himmel und grollt: »Mein Gott, was haben wir verschuldet, dass du uns so hart strafst?«
Wenn ich der liebe Gott wäre, hätte ich wahrscheinlich ein bisschen Angst vor der alten Staffa.
»Ich muss euch etwas erzählen«, sagt Mama und geht mit uns hinüber in den Park, wo wir allein sind. Dort erklärt sie uns: »In meinem Bauch wächst ein Kind; im Mai soll es zur Welt kommen.«
Es klingt ein bisschen freudig und ein bisschen besorgt. Hier ein Kind? – Ich will es erst gar nicht glauben! Ich kann mich noch daran erinnern, wie Walter geboren wurde. Mama war nach Breslau gefahren und
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