Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
bei allen geschlafen, außer bei Stella, denn mit der ist nicht gut Kirschen essen. Und nachdem ich es überall probiert habe, weiß ich, dass ich es bei Martha am besten habe. Irgendwie ist es bei ihr am gemütlichsten, und so schmiege ich mich Abend für Abend an sie an, genieße ihre Wärme, ihre Ruhe, die einschläfernden Geräusche ihres dicken Bauches.
Und ich bekomme etwas zurück: die Liebe der Tiere! Sie sind es, die mir das geben, was ich von den Menschen hier nicht zu erwarten habe. Sie sind meine Vertrauten und ich lebe mit ihnen wie mit Gefährten. Wenn es ihnen gut geht, geht es mir auch gut, und umgekehrt. Mein Glück ist mit dem ihren verknüpft. Und bei ihnen finde ich den Halt, den ich gegen die Boshaftigkeit und Unberechenbarkeit der Menschen hier so nötig brauche.
Vor allem Martha ist meine Freundin. Abends erzähle ich ihr alles:
»Er hat mich wieder geschlagen!«
Und Martha käut wieder und hört ruhig zu.
»Wegen nichts. Es ist immer wegen nichts!«
Martha wendet den Kopf und guckt mich groß an.
»Wenn du den doch mal auf die Hörner nehmen könntest!«
Ich streichle Martha am Hals.
»Aber du bist viel zu gutmütig dazu! – Und dabei wärst du so stark...!«
Mein Gott – und ich mit meiner mageren Gestalt...
Es ist nicht einfach, dem Wüterich aus dem Wege zu gehen, aber ich habe schon etwas Übung darin. Vor allem lausche ich, ob es im Hause Streit gibt, denn wenn er danach in den Stall kommt, wird es gefährlich. Ich verschwinde dann auf den Boden hinauf oder suche mir eine Arbeit weit weg von der Tür, damit ich ihm nicht sofort über den Weg laufe.
Noch immer kann ich ihn schlecht einschätzen. Manchmal ist er ganz weich, fast kraftlos und schlaff. In so einem Fall kann ich froh sein, weil er dann gleichgültig an mir vorbeigrunzt. Im nächsten Augenblick aber, oft ohne Anlass, kann er explodieren und meist schlägt er dann zu. Obwohl ich gelernt habe, Menschen genau zu beobachten, bei ihm funktioniert das nicht, dieser Mann ist nicht fassbar.
Inzwischen habe ich allerdings herausgefunden, woran das liegt: Schon lange hat er mich an jene Männer erinnert, die uns im Kohlenkeller regelmäßig terrorisierten. Wenn sie betrunken sind, hieß es, dann sind sie besonders gefährlich. Und jetzt weiß ich, dass das bei diesem Mann genauso ist! Zuerst habe ich nur den eigenartigen Geruch wahrgenommen und mir nichts weiter dabei gedacht. Aber als er gestern Abend wieder einmal mit hochrotem Kopf und verschwollenen Augen vor mir stand, sah ich, dass er schwankte, und schlagartig war mir klar, dass der eigenartige Geruch nichts anderes als seine Schnapsfahne war.
Nützen wird mir diese Erkenntnis wenig. Aber jetzt empfinde ich außer Angst und Wut auch noch Verachtung für diesen Mann. Er hat nichts, aber auch gar nichts an sich, was mir in irgendeiner Weise Respekt abverlangen könnte. Wehren kann ich mich deswegen zwar auch nicht besser, aber der Kerl soll bloß nicht glauben, er stünde über mir!
Übrigens bin ich nicht die Einzige, die unter seiner Gewalttätigkeit leidet. Oft genug höre ich vom Haus her Geschrei: das laute Brüllen des Mannes und das schrille Zetern der Frau. Dann weiß ich immer, dass ich ganz besonders auf der Hut sein muss. Gestern Abend war es wieder einmal so weit und heute Morgen ist die Bäuerin mit blauen Flecken und einem zugeschwollenen Auge in den Stall gekommen. Sie ist noch kürzer angebunden als sonst schon. Das hat den Vorteil, dass ich wenigstens ihre keifende Stimme nicht zu ertragen brauche.
DIE KLEINE FREIHEIT
Es ist früher Morgen und ich treibe die Kühe durch den Bach. Auf der anderen Seite sehe ich drei Jungen aus dem Dorf mit ihrer Herde, sie haben Peitschen in den Händen.
»Da ist sie!«, höre ich und sofort schrillen meine Alarmglocken! Ich bin inzwischen ziemlich schnell, wenn es darum geht, Gefahr zu wittern.
Als ich drüben am anderen Bachufer bin, kommen sie näher, die Peitschen in ihren Händen. »He, du deutsches Schwein!«, werde ich von dem Größten begrüßt.
Wortlos starre ich die Jungen an.
»Hast du verstanden: Du deutsches Schwein!«
Ich habe sein Polnisch sehr wohl verstanden. Wie angewurzelt stehe ich da.
Und da klatscht mir seine Peitsche um die Füße. Hell lodert der Schmerz auf.
»Sag, dass ihr Schweine seid!«
Ich rühre mich nicht. Die Peitsche windet sich mir um die Knöchel und zieht eine offene Wunde.
»Los!«
Ich schweige.
»Sag, dass du ein Schwein bist!«, fordert der, der mich
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