Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
allein. Auch als es zu dunkeln anfängt, kommt niemand, um mir einen Schlafplatz anzuweisen. Soll ich etwa hier bleiben? Bin ich also so etwas wie Vieh? Vielleicht noch weniger wert?
Je dunkler es wird, desto rasender schlägt mein Herz. Ich bin ganz allein in diesem Stall und ohne jede Gemeinschaft. Ausgeliefert der Gewalt von Menschen, für die ich kaum mehr bin als ein Ding, ein Arbeitstier, ein Stück Werkzeug. Abgeschnitten von allem, was mich schützen könnte, von allen Menschen auch, die ich liebe und die ich gerade jetzt so dringend brauchte. Nie habe ich mich so verlassen gefühlt, nie so hilflos und so ohnmächtig.
Ich kauere mich in eine Ecke und vergrabe das Gesicht in meinen Händen.
Aber etwas muss geschehen, so kann ich nicht die ganze Nacht hocken bleiben, ich muss mir einen Schlafplatz suchen. Im Dämmerlicht taste ich mich zur Stiege hin, steige auf den Heuboden und grabe mich tief ins Stroh. Aber einschlafen kann ich nicht. Nicht nur wegen der tausend Gedanken, die immer noch durch mein Hirn toben, sondern auch, weil ich friere. Es ist regnerisch gewesen in den letzten Tagen, und hier, direkt unter dem Dach, ist es kalt. Eine Decke gibt es nicht und außer Stroh habe ich nichts zum Wärmen. Obendrein habe ich hier auf dem Kornboden Angst vor Nagern. Mäuse wären ja nicht so schlimm, aber vielleicht gibt es hier auch Ratten. Ich muss also wieder runter!
Ich steige die Stiege hinab in den Stall und taste mich im Halbdunkel die Mauer entlang und an den Futtertrögen vorbei. Ich weiß jetzt, wo ich hinwill.
»Bleib ruuuhig«, sage ich ganz leise und besänftigend zu Martha, »ganz ruuuhig …« Ich steige zu ihr und kuschele mich eng an sie an. Martha hat offenbar nichts dagegen. Warm ist ihr Kuhbauch, warm und behaglich. In seinem Innern rumort es gedämpft, und von Zeit zu Zeit bebt er, wenn Martha einen Teil ihrer Abendmahlzeit hochrülpst, um sie genüsslich wiederzukäuen. Eine Weile liege ich noch mit offenen Augen, obwohl jetzt in der Dunkelheit absolut nichts mehr zu sehen ist. Ich versuche, mir vorzustellen, wie es weitergeht. Doch da ist nichts, nur Leere. Leere und Angst.
Aber das Mahlen der wiederkäuenden Kühe beruhigt mich mit seiner gleichförmigen Melodie und schließt mir dann doch die Lider.
Aus schwerem Schlaf wache ich auf. Ich fühle mich zerschlagen und würde am liebsten liegen bleiben, so, wie man einfach im Bett bleibt, wenn man krank ist. – Klar, dass das nicht geht.
Die Morgentoilette besteht darin, dass ich mir das Stroh aus den Haaren streiche. Dann breche ich mir ein Stück von meinem Brot ab und fange an zu essen. Ich kaue und kaue, es ist entsetzlich trocken so ohne alles, und außerdem habe ich noch immer keinen Appetit.
Wenn ich das Brot wenigstens in Milch tunken könnte!
Die Milchkannen, das habe ich gestern Abend gesehen, stehen in dem kurzen, engen Zwischengang, der den Stall mit dem Haus verbindet. Ich gehe hin, um nachzuschauen, ob ich mir etwas Milch stibitzen kann. Aber die Tür zum Gang ist zu!
Und das ist der Augenblick, in dem etwas in mir passiert: Zwar habe ich immer noch Angst, aber sie mischt sich jetzt mit Wut! Es ist kein Entschluss, eher ein Gefühl: dass ich einen Kampf angenommen habe, so schwach ich denen hier gegenüber auch bin und so wenig Chancen ich auch haben mag. Aber ich werde mir mein Recht nehmen. Ich werde ihnen ein Schnippchen schlagen, wann und wo es geht! Oft wird das nicht sein, das ist klar, aber darauf kommt es gar nicht so sehr an.
Ich schaue, ob ich etwas entdecke, was ich für mein Vorhaben brauchen kann. In einem Winkel finde ich ein Messkännchen, alt, verbeult und offenbar seit langem nicht benutzt. Es ist völlig verstaubt, und ich müsste es waschen, aber ich traue mich nicht aus dem Stall zum Brunnen. Es bleibt also dreckig. Ich gehe zu Martha, weil ich die schon am besten kenne, und versuche, mit dem Milchstrahl aus ihrem Euter in die enge Öffnung des Kännchens zu treffen. Erschreckt fahre ich zusammen: Es geht zwar, aber das Geräusch ist so laut, dass es mich verraten könnte. Jeden Augenblick kann jemand hereinkommen! Ich verstecke das Kännchen. Ein andermal!
Ich fange an auszumisten: Arbeiten ist besser als Nichtstun. Als ich die Stalltür öffne, fahre ich erschrocken zurück. Mit wütendem Gekläff stürzt der große, dunkle Hofhund auf mich los, im letzten Moment zurückgehalten von seiner Kette. Sie reicht gerade so weit, dass ich die Karre hinausschieben kann. Trotzdem habe ich das
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