Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Gefühl, das war knapp!
Als die Bäuerin zum Melken kommt, habe ich das Ausmisten fast erledigt. Mit mürrischem Gesicht und müdem Gruß geht sie an mir vorüber und stellt mir wortlos den Eimer hin. Ich fange an zu melken: Es geht schon besser als gestern Abend! Nicht allzu lange nach der Bäuerin bin ich fertig.
»Die Kühe kommen jetzt raus«, sagt sie.
Sie geht voran und zeigt mir den Weg. Aus dem Dorf hinaus und in die Wiesen. Dann kommt ein Bach.
»Dort hindurch«, sagt sie, »da drüben sind unsere Weiden.«
Dann bin ich allein mit den Kühen.
Durch den Bach führt eine Furt, die man bequem durchschreiten kann. Die Kühe lassen sich Zeit und saufen erst einmal in aller Ruhe, ehe sie sich wieder in Bewegung setzen. Den Weg scheinen sie von allein zu kennen. Ich nehme den Rock vor mir zusammen und gehe hinter ihnen durch das Wasser. Barfuß bin ich jetzt sowieso immer. Der Grund ist schlammig, das Wasser reicht mir bis über die Knie und jetzt im Mai ist es kalt, sodass ich mich beeile.
Das ist auch gut so, denn drüben angekommen schlägt Stella, die Leitkuh, genau die entgegengesetzte Richtung ein. Wahrscheinlich kennt sie da eine Wiese, deren Gras ihr besonders gefällt.
»Stella!«, brülle ich.
Das kümmert sie nicht.
»Stella, du Mistvieh!«
Den Weidestock in der Hand, renne ich hinter ihr her. Sie selber geht jetzt in einen gemütlich scheinenden Trab über, der schneller ist, als es aussieht. Ich habe ganz schön zu keuchen, bis ich sie wieder einhole.
»Gehst du zurück!«, fauche ich sie an und haue ihr den Knüppel zwischen die Hörner.
Stella glotzt überrascht, aber dann bequemt sie sich doch: Sie wendet sich um und führt die anderen hinter sich her zur richtigen Weide.
Der Helligkeit nach zu urteilen geht gerade die Sonne auf, als ich aufwache. Eine Weile werde ich bestimmt noch ungestört bleiben, obwohl natürlich auch die Bauersleute früh aufstehen. Und jetzt mache ich das, was ich mir gestern vorgenommen habe: Ich hole mein Kännchen – inzwischen habe ich es heimlich abgespült – aus seinem Versteck und gehe zu Martha. In der einen Hand die Kanne haltend und mit der anderen die Zitze fassend, lasse ich den Strahl vorsichtig und leise am Rand des Gefäßes hinablaufen. Und es klappt: Kaum etwas ist zu hören! Einen halben Liter melke ich ihr ab, das wird nicht auffallen. Einen Teil trinke ich gleich, der Rest kommt, mit einem Stück Pappe als Deckel darauf, hinter einen Verschlag: für den Abend.
Und an diesem Abend, als alle Kühe gemolken sind und niemand mich mehr stören wird, erlebe ich ein Wunder: Ich tunke das Brot in die Milch, ziehe es wieder heraus und da tropft dick und fett die Sahne von dem Brot herunter. Ich beiße ab und kann es gar nicht fassen: Es ist unglaublich, wie das schmeckt! Ich tunke erneut, beiße wieder ab, und auf einmal empfinde ich ein richtiges kleines Glück, ein ganz eigenes, nur für mich geschaffenes Stückchen Glück, von dem niemand anders etwas weiß und das mir niemand wegnehmen kann! Es ist einfach köstlich, diese Ecke Brot mit Sahne. Wie Kuchen! Ich genieße es wie ein Festmahl, und als ich mein Brot vertilgt habe, trinke ich noch die Kanne leer.
Von dem tollen Geschmack einmal ganz abgesehen: Das ist mein erster Sieg über diese Leute hier!
Ich habe inzwischen heraus, wie ich mit meiner Arbeit am besten zurechtkomme. Das Brett darf zum Beispiel nicht schräg liegen, weil die Karre sonst umkippt. Außerdem ist es am besten, den ummauerten Misthaufen von hinten nach vorne zu füllen. Dazu muss man das Brett zuerst bis ganz nach hinten und an den höchsten Punkt schieben. Dann ist das Karren am schwersten, weil das Brett so steil liegt. Zu steil aber darf es auch nicht sein, weil ich es dann nicht bis hinauf schaffe. Wenn oben kein Platz mehr ist, zieht man das Brett einfach ein bisschen zurück und füllt die vorderen Bereiche. Ekelhaft ist es, wenn vorne alles voll ist und das Brett wieder nach hinten muss: Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als durch den tiefen Mist zu staksen und das verschmierte Ding wieder dort hinaufzuzerren. Barfuß, wie ich bin, versinke ich dann oft bis an die Waden im Dreck. Mir ist zwar inzwischen vieles egal, aber das ekelt mich doch immer wieder.
Allerdings gleichen die Tiere vieles wieder aus. Ich liebe meine Kühe und putze, striegele und pflege sie, denn ich will, dass sie es gut haben. Genauer gesagt: Ich will, dass sie es bei mir – und nur bei mir! – gut haben. Nachts habe ich schon
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