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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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wir zusammen, manchmal sind es Märchen und sie handeln von Zwergen und Elfen, von Prinzen und Prinzessinnen, Riesen und Räubern. Bożena liest nicht vor, sie kennt die Geschichten alle auswendig, und sie kann so spannend erzählen, dass ein Buch nur stören würde. Manche ihrer Märchen kenne ich, es sind die gleichen, die ich auch zu Hause gehört habe. Aber obwohl ich weiß, wie sie ausgehen, freue mich doch jedes Mal wieder, wenn alles gut endet. Andere Märchen wieder kenne ich nicht, sie sind mir völlig neu, und voll Spannung warte ich auf den Schluss. Manchmal ist er traurig, und das mag ich nicht, denn ich finde es ungerecht. Warum hat das Gute so oft zu leiden? Warum muss der Prinz ertrinken, der zu seiner Braut schwimmt? Und warum stirbt die Mutter der armen Familie? Wenigstens im Märchen sollte doch am Schluss der Richtige siegen und das Böse unterliegen!
    Am schönsten finde ich Geschichten, die von Kindern handeln: Das ist, als ob ich es selber wäre, ich fürchte mich und freue mich, es sind meine Gefahr und meine Rettung. Und wenn dann der Regen draußen vor dem Fenster rauscht und ich geborgen neben Bożena in der Kammer sitze, die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände gestützt, dann kann ich alles um mich herum vergessen.
    Einmal frage ich: »Warum gibt es das alles eigentlich nur im Märchen, Bożena?«
    Bożena überlegt kurz, dann sagt sie zögernd: »Ich weiß gar nicht, ob es das alles nur im Märchen gibt. Natürlich hat noch niemand Feen und Zwerge gesehen. Und an Hexen glaube ich auch nicht, obwohl hier eine ganze Menge Leute noch immer davon reden. Aber oft genug habe ich mir schon gedacht: Welche Fee hat das jetzt wieder so hingekriegt? Oder auch: Da muss dir doch wieder irgendjemand in die Suppe gespuckt haben.«
    Vielleicht hat Bożena Recht. Überhaupt ist das alles schwierig.
    »Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich wirklich lebe oder ob nicht vielleicht alles nur Traum ist«, sage ich. »Ob das wirklich so war, dass ich bei den Kühen geschlafen und mir die Milch direkt in den Mund gemolken habe. Und dass ich jetzt hier bei euch bin...«
    Einen Augenblick lang kann ich nicht weiterreden, aber dann geht es wieder: »Eine Hexe kenn ich wenigstens, und einen Menschenfresser auch!«
    Bożena lacht.
    »Dann weißt du ja auch, dass die gar nicht immer Sieger bleiben«, sagt sie dann.
    Ich nicke nur.
    Aber nach einer Weile schaue ich sie ganz fest an und traue mich zu sagen: »Übrigens kenne ich jetzt auch eine gute Fee!«
    »Jetzt mach aber halblang!«
     
    Waschtag. Ein Riesenberg hat gestern früh vor uns gelegen und ich bin ziemlich klein geworden: »Das schaffen wir nie!«
    »Du wirst schon sehen«, hat Bożena gemeint.
    Dann haben wir alles in den großen Kochkessel geworfen, in dem auch die Kartoffeln für die Schweine gegart werden, und haben alles eingeweicht.
    Am Nachmittag haben wir das Feuer unter dem Kessel angezündet und dann standen wir nebeneinander und rührten abwechselnd die heiße Wäsche mit dem Rührholz um.
    »Lass mich mal wieder!«, bat ich Bożena. Mir hat es Spaß gemacht und es fiel mir leicht; ich habe mit der Zeit ganz schöne Muskeln bekommen.
    »Kannst aufhören, es reicht«, sagte Bożena dann. »Über Nacht kann es abkühlen und morgen geht’s dann los!«
    Heute in der Frühe heizten wir noch einmal kurz an, bis das Wasser gut handwarm war, und dann fingen wir an.
    Herrlich, mit Bożena zusammen zu arbeiten! Es flutscht richtig! Wir stehen uns am Kessel gegenüber, jede ein Waschbrett vor sich, und rubbeln die Wäsche sauber. Sie nimmt eher die großen Stücke, Laken zum Beispiel oder Bettbezüge, ich das ganze Kleinzeug: Hemden, Schlüpfer, Socken und was es sonst noch so gibt. Zu zweit kommen wir rasch voran.
    »Hab ich’s nicht gesagt?«
    Gemeinsam spülen wir die Wäsche in klarem Wasser und wringen sie aus. Dann tragen wir sie im Korb auf die Wiese und legen sie zum Bleichen in die Sonne.
    »Ohne dich wäre das nicht so schnell gegangen. – Wenn ich dich nicht hätte!«, sagt Bożena. »Überhaupt – du bist groß geworden…« Und dann sagt sie noch etwas, das mich elektrisiert:
    »Eigentlich solltest du längst zur Schule gehen!«
    Das Wäschestück, das ich gerade in der Hand halte, fällt wieder in den Korb zurück. Ich muss Bożena ziemlich blöd angestarrt haben, wahrscheinlich mit offenem Mund oder so.
    »Was ist?«, fragt sie, »magst du etwa nicht?«
    »Aber …«, stottere ich, »aber das geht doch nicht für Deutsche

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