Kalter Amok
es ihr an Sprachkenntnissen mangelte.
Rafael rief sie an. Sie freute sich, von ihm zu hören, und er versprach, in zwanzig Minuten bei ihr zu sein. Er bezahlte die Wodkas und ging. Es war stets leicht gewesen, mit den Mädchen zusammenzukommen, wann immer er es wollte. Erstens war er praktisch der erste Mensch, den sie kennenlernten, nachdem sie hier in Houston angekommen waren. Da er Portugiesisch sprach, gewann er schnell ihr Vertrauen, und es war nicht schwer, die »alte« Freundschaft zu erneuern, sobald die Mädchen einen Platz gefunden und sich eingerichtet hatten. Seine Möglichkeit, die Mädchen ohne irgendwelche Schwierigkeiten häufig zu besuchen, wurde unterstützt durch einen Fehler, der allen Erwerbern dieser Mädchen gemein war – ausgenommen vielleicht Vianna –: Sie ignorierten ihre Erwerbungen während achtzig Prozent ihrer Zeit. Obwohl die Mädchen im Luxus lebten, war es ein Leben in Isolation, das nur dann durchbrochen wurde, wenn die Männer in Stimmung waren, mit ihnen zusammenzusein und sich nicht scheuten, an den »schicken« Plätzen der Stadt mit ihnen gesehen zu werden – oder bei den Partys der Privilegierten. Rafaels Besuche bildeten eine willkommene Abwechslung – in mehrfacher Hinsicht. Er machte sie mit Rauschgift bekannt, das danach ihre langen Tage erträglich gestaltete, auch wenn er nicht bei ihnen war.
Stephany Bedaque hatte dem Portier in der Vorhalle Bescheid gegeben, hatte ihm Rafaels Namen und die Autonummer genannt. Er bog in den Hof ein, gerade als die elektronische Schaltung die Leuchtkugeln des Hofes zu einer schimmernden Lichterkette werden ließ. Die Nacht war rasch über die Stadt hereingebrochen, und nur noch ein malvenfarbener Streifen über den Hochhäusern von Post Oak erinnerte daran, daß es überhaupt Tag gewesen war.
Stephany kam selbst an die Tür ihrer Wohnung im 17. Stock. Auf dem Arm hatte sie eine seltene, aber verfettete abessinische Katze. Das Tier sah merkwürdig aus, wie ein Mutant, da abessinische Katzen in der Regel schlanke Tiere waren. Das üppige, kohlschwarze Haar des Mädchens war frischgewaschen und fiel ihr um das Gesicht – ein Gesicht, das alle Schönheit in sich vereinte, die jemals aus Brasilien hierhergekommen war. Sie trug eine langärmelige Bluse aus amethystfarbener Shantungseide, und zwischen Haarsträhnen baumelten Amethystohrringe. Von der Taille nach unten war sie nackt. Das kam bei ihr öfters vor. Die Frau war sichtlich gelangweilt und nicht ausgelastet.
Er folgte ihr in einen großen Raum, von dem aus man die westliche Skyline der Stadt sehen konnte. Die Wolkenkratzer an der Greenway Plaza funkelten auf der linken Seite, und vor ihnen lieferte das großartige Spektakel der Gegend um Post Oak ein betäubendes Beispiel lichtblitzender Architektur: fabelhafte Türme, erbaut von einer Stadt, die angesichts ihrer eigenen Zukunft größenwahnsinnig geworden war.
Sie gingen die paar Stufen hinunter in den tiefer liegenden Wohnraum, der mit Möbeln aus Glas und Chrom eingerichtet war. Ein dicker, weißer Teppich kletterte die Stufen empor und breitete sich auch auf dem Boden der übrigen Räume aus. Stephany saß in einem transparenten, formlosen Plexiglassessel, der ihren Hintern hübsch zur Geltung brachte, und zog die Beine hoch wie eine Inderin. Rafael setzte sich in einen Sessel aus Chrom und Leder, genau ihr gegenüber. Sie war interessant anzusehen. Er bemerkte, daß sie sich auf seinen Besuch vorbereitet hatte; die klare Stimme von Gal Costa drang aus den sie umgebenden Wänden.
Keiner von beiden sprach ein Wort, Rafael zog den Reißverschluß der Ledertasche auf, die er bei sich hatte, und nahm die Spritze heraus. Er legte sie auf den Glastisch, der zwischen ihnen stand, zusammen mit einem Plastikbeutel Heroin. Ihr Lieblingsrauschgift. Er stellte ein Fläschchen mit Gummistopfen neben die anderen Utensilien und begann mit der rituellen Mischung des Heroins, wobei er Zündhölzer und einen Löffel aus seiner Tasche benützte.
Als das Heroin fertig war, steckte er die Nadel der Spritze durch den Gummistopfen der kleinen Flasche und sog den Großteil der Lösung an, die sich darin befand. Sie fragte nicht, was er da tat, obwohl sie gierig jede seiner Bewegungen beobachtete. Alle Mädchen wußten, daß er Medizinstudent war, und fragten nie, was er ihnen verabreichte. Als die Spritze fertig war, stand er auf und ging zu ihr hin. Sie blieb im Sessel sitzen und streckte ein langes, honigfarbenes Bein aus, das sie dann mit
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