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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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einmal die Polizei einschaltete. Immerhin hatte er inzwischen schon einige Mädchen getötet. Wäre er bei den kleinen Cariocas geblieben, hätten sie es nicht gemerkt. Aber auch die anderen mußten getötet werden – er mußte eben noch vorsichtiger vorgehen. Er fragte sich, ob die Polizei ahnte, womit sie es da zu tun hatte. Wenn irgend jemand, der an der Sache arbeitete, etwas schlauer war als üblich, mußte er daraufkommen.
    Und was würde die Polizei dann untersuchen? Sie würden viel Zeit vergeuden und versuchen, die Spur von tollwütigen Hunden oder Fledermäusen zu verfolgen. Die kleinen Cariocas würden vermutlich nie entdeckt werden, also mußte die Polizei zunächst annehmen, die Callgirls hätten einen tollwütigen Hund im Haus gehabt. – Man würde bestimmt dahinterkommen, daß alle Frauen in gewisser Beziehung zu dem Haus standen. Zu schade um die kleinen Partys. Er vermißte die farbigen Zimmer und die Wurlitzer-Musikbox. – Wenn keine weiteren Callgirls starben, würde die Polizei annehmen, daß der Hund an seiner Krankheit eingegangen war, allerdings erst; nachdem er diese Frauen infiziert hatte, und daß mit seinem Tod die Kette der Infektionen zu Ende war.
    Aber Rafael mußte vom Schlimmsten ausgehen. Angenommen, sie verdächtigten ihn. Sie hatten nichts Greifbares gegen ihn in der Hand. Verdachtsmomente? Ja, sicher. Die gleichen Verdachtsmomente, die sie für fünfzig andere Männer hatten, welche in irgendeiner Beziehung zu diesen Frauen standen. In Dr. Mortons Labor gab es keine Spuren von Rafaels Tollwutarbeiten. Die Hundeköpfe wurden immer noch in derselben Nacht verbrannt, und die Geräte standen nicht nur ihm allein zur Verfügung. Der Vorrat an Viren, den er inzwischen gesammelt hatte, war gut versteckt im Virusschrank, unter der Bezeichnung eines anderen, tödlichen Virus, und zu diesem Schrank hatten nur er und Dr. Morton Zugang. Dr. Morton benützte niemals das Virus, unter dessen Namen sein Vorrat dort aufbewahrt war.
    Er schaute auf die Uhr. Dann zog er seinen weißen Mantel aus, legte ihn über seine Lehrbücher auf den Tisch zum Zeichen, daß er belegt war, und ging hinaus zu den Telefonen in der Vorhalle. Er rief seinen Stationshelfer an, der ihm sagte, daß es zur Zeit keine Patienten zu betreuen gab. Großartig. Also war er für den Nachmittag frei, und in der kommenden Nacht hatte er keinen Bereitschaftsdienst. Er hatte bis nächsten Morgen um viertel vor acht Zeit. Nach dem Anruf kehrte er zu seinem Tisch zurück, zog sich den Mantel an, nahm seine Bücher und verließ die Cafeteria durch die überdachte Zufahrt; dann ging er auf die Parkgarage Nummer 4 zu, auf der gegenüberliegenden Seite des Sterling Circle. Die meisten Studenten waren gezwungen, ihre Wagen in der glühenden Sonne zu parken, so weit von den Gebäuden entfernt, daß sie den Bus benützen mußten.
    Als er den Mercedes 380 SL vom sechsten Stock des Parkhauses nach unten lenkte, wußte er bereits, was er tun wollte. Er wollte Eu Te Amo sehen, zum sechstenmal. Der Film lief in einem Kino an der Richmond Avenue, nicht weit von der Greenway Plaza. Er wollte Sonia Brage wiedersehen, beobachten, wie berechnend sie auf Gewalt reagierte, wollte das Tier in ihr sehen, das immer wieder die Oberhand zu gewinnen schien. Manchmal schaute sie direkt in die Kamera, und er sah, wie ihre Augen an den Rändern zuckten, und in Gedanken verweilte er länger bei der Szene, als sie zu sehen war, beobachtete, wie ihr Gesicht weiß wurde, dann ihre Schultern, und wie er imstande war, sie zu lieben.
    Der Mercedes fuhr hinaus in die Sonne, und die Helligkeit riß ihn aus seinen Gedanken. Er trat gerade noch rechtzeitig auf die Bremse, um nicht gegen die hölzerne Schranke zu stoßen, die die Ausfahrt an der Ticketkontrolle versperrte.
    Wie sich herausstellte, sah er sich den Film sogar zweimal hintereinander an. Er ging gern mitten am Nachmittag ins Kino, weil um diese Zeit nur wenig Zuschauer anwesend waren. Dadurch wurde man weniger abgelenkt. Er konnte sich in die Charaktere auf der Leinwand verwandeln, konnte ein Teil der Handlung werden, sich so tief in sie versenken, daß er danach nicht selten noch fünf Minuten sitzenbleiben mußte, um sich zu orientieren. Eine Fähigkeit, die ihm immer leichter vorkam, so daß es ihm inzwischen gelang, seinen Körper zu verlassen und in die Körper auf der Leinwand zu schlüpfen, kaum daß der Film begonnen hatte. Oft wurde diese Reinkarnation durch einen sichtbaren Tunnel eingeleitet: Sein

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