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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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das habe ich ja schon gesagt. Als die Meldung kam von seinem Unfalltod, ahnte und spürte ich bald, dass etwas daran nicht stimmte. Und es wäre vielleicht immer nur ein Ahnen geblieben, wenn nicht Jahre später wieder ein Mensch unter ganz ähnlichen Umständen ums Leben gekommen wäre. Ich hab es in der Zeitung gelesen, ganz zufällig. Und dann noch ein ›Unglück‹. Da wusste ich es. Da wusste ich es ganz definitiv.«
    Es traten Sekunden völliger Stille ein.
    Marielle kam es vor, als würden auch alle anderen Gespräche im Lokal ersterben, als würde das Klirren der Bestecke und das Klingen der Gläser verstummen, nur um diese Augenblicke gebührend zu würdigen.
    Und dann sagte Reuss:
    »Sie haben recht, Frau Gehrig-Mannhardt. Bestimmt haben Sie recht.«
    Schwarzenbacher warf ihm einen kurzen, fragenden, ja staunenden Blick zu, und Marielle versuchte, mit hochgezogenen Augenbrauen auf Pablo schauend, dessen Meinung zu dieser Geschichte zu erraten.
    Doch dann stand auch schon der Ober da und fragte, ob er jetzt ihre Bestellungen aufnehmen dürfte.
    »’s Hirschgulasch könnt ich sehr empfehlen, wenn die Herrschaften vielleicht ein Wild möchten …«

3
     
    Karl Mannhardts Geschichte hatte sich tief in Marielles Gedächtnis gegraben, und es bereitete ihr Mühe, die in ihr entstandenen Bilder immer wieder zu verdrängen. Alles, was sie wusste, stammte aus den Zeitungsberichten, die ihr Reuss gegeben hatte, und aus den Gesprächen mit ihm und Schwarzenbacher. Angesichts der täglichen Flut an grausigen Zeitungs- und TV-Bildern hätte die Vorstellung vom durch Steinschlag und Absturz zu Tode gekommenen Mannhardt gar nicht mehr so schlimm sein dürfen für sie. Und doch war sie es. Sie fragte sich, warum.
    »Das ist eigentlich logisch«, sagte Pablo. »Wenn die im Fernsehen berichten, dass bei einem Erdrutsch in Ostchina dreihundert Leute elendig verreckt sind, und sogar wenn sie dann Bilder zeigen, wie die schlammverkrusteten Leichen geborgen werden, dann sind uns diese Leute doch vollkommen fremd, sind nur eine Ziffer in der großen Zahl dreihundert. Wenn aber …«
    »Ich weiß schon, was du sagen willst«, fuhr ihm Marielle ins Wort. »Wenn aber ein Einzelschicksal herausgegriffen wird, dann berührt uns das, dann bekommen wir Mitleid, dann kommen uns die Tränen …«
    »Hmm«, brummte Pablo zustimmend. »Genauso ist es doch.«
    »Ist es nicht«, sagte Marielle, die nicht ihren besten Tag hatte. Es gab so Tage, wo ihr nichts gelang, wo nichts sie glücklich stimmen konnte, wo nichts ihr Freude bereitete – und diese Tage hatten sich in letzter Zeit gehäuft. Marielle mochte es überhaupt nicht, dass sie solchen Stimmungen ausgesetzt war. Sie verabscheute sich dann sogar ein bisschen dafür – und das machte alles nur noch schlimmer. Sie gestand es sich selbst nicht ein, aber tief in ihr gab es eine Ahnung, wo das herrührte. Seit dieser fürchterlichen Geschichte in der Schattenwand … Der Gedanke kam, doch sie verdrängte ihn, wollte nichts davon wissen, wollte weiter in dem Glauben leben, alles, wirklich alles überstanden zu haben.
    »Ist es überhaupt nicht«, sagte sie. »Ich kenne diesen Mannhardt nicht, habe ihn nie gekannt. Kenne nur seine sonderbare Schwester. Dazu kommt, dass sein Tod ewig her ist …«
    »Hmm«, machte Pablo. Und er machte es so, dass Marielle nicht entscheiden konnte, ob es eine Zustimmung oder doch ein eher mürrischer Widerspruch war. Aber es war ihr ohnehin egal.
    »Ich möchte diese Geschichte am liebsten loswerden. Aus dem Kopf bekommen. Nicht mehr darüber grübeln, ob es ein Unfall war oder ob ihn jemand erschlagen hat. Und wenn, warum. Ich möchte …«
    »Das geht nicht«, sagte Pablo ganz entschieden. »Ob wir wollen oder nicht: Es ist mittlerweile zu unserer Geschichte geworden. Ein bisschen zumindest. Und wenn ich dich erinnern darf: Als wir an Silvester in den Calanques waren und du mir deine guten Vorsätze aufgezählt hast, war einer davon, heuer für das Reuss-Team zu arbeiten, alpine Kriminalfälle lösen. Erinnerst du dich?«
    Marielle sagte nichts.
    »Ich nehme an, wir werden noch viel intensiver mit Mannhardt und dem Steinschlag zu tun bekommen.«
    Marielle wandte sich ab. Es war einfach nicht ihr Tag.
    * * *
     
    Schwarzenbacher war unermüdlich. Er hatte sich von Reuss die Zeitungsausschnitte geben lassen und sie wieder und wieder gelesen. Dann hatte er sich auf den Weg gemacht. Erstes Ziel: der Sitz des Tiroler Alpenvereins, Olympiastraße 37,

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