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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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vor dem anderen.
    »Wie ist sie auf Reuss gestoßen?«, fragte sie noch einmal.
    Pablo zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber vielleicht werden wir das ja heute Abend erfahren.«
     
    Als sie im Restaurant Sailer ankamen, einer sehr bekannten, sehr gediegenen Lokalität im Zentrum der Stadt, lächelten ihnen Schwarzenbacher und Reuss entgegen. Nur dass jedes Lächeln eine andere Bedeutung hatte. Das von Schwarzenbacher war spitzbübisch. Er sah, dass die jungen Leute sich herausgeputzt hatten für dieses Treffen – und er erkannte auf den ersten Blick, dass Marielle aus ihrem Kleid herausgewachsen war, dass es ihre Formen mehr betonte, als ihr eigentlich recht sein konnte. Genauso wenig entging ihm, dass Pablo in einem dunklen Anzug eine etwas eigenwillige Figur machte.
    Das Lächeln bestand aus einem Spitzen der Lippen, einem Hochziehen der Augenbrauen, einem leicht resignativen Gesichtsausdruck – knapp daneben ist auch vorbei, schien er zu denken.
    »Ihr seid spät«, sagte er etwas mürrisch, stand auf und stellte die Anwesenden einander vor: »Frau Gehrig-Mannhardt, meine Mandantin. Herr Gehrig. Sie wird uns Wichtiges zu sagen haben. Paul Schwarzenbacher kennt ihr ja bereits.« Und an die Mandantin gewandt: »Marielle und Pablo. Sie machen in meiner Kanzlei …«
    Er zögerte einen Moment. »Sie gehören zu unserem Team. Was dabei vielleicht das Wichtigste ist: Sie kennen die Berge wie ihre Westentasche.«
    An die beiden gewandt sagte er: »Ich bin sehr froh, dass Frau Gehrig-Mannhardt zu uns gekommen ist. Es gehört viel Mut und viel Kraft dazu, eine solche Sache noch einmal aufzurollen und dabei noch einmal durchleben zu müssen, was damals geschehen ist.«
    Kaum dass sich Marielle und Pablo an den in zarten Gelbtönen gedeckten Tisch gesetzt hatten, kam auch schon ein Ober und reichte ihnen die Speisekarten.
    »Frau Gehrig-Mannhardt ist nach Innsbruck gekommen«, referierte Reuss, während er beinahe desinteressiert die Speisekarte aufklappte, »um uns ihre Zweifel an der natürlichen Todesursache ihres Herrn Bruders darzulegen. Ich habe sie hierhergebeten, weil ich der Meinung bin, dass wir nur dann etwas unternehmen können, wenn ihr alle ihre Geschichte kennt, ihr Fragen stellen könnt, euch ein eigenes Bild macht. Deshalb würde ich bitten, dass Sie, werte Frau Gehrig-Mannhardt, uns gleich berichten, wie es dazu gekommen ist, dass Sie sich jetzt, nach Jahrzehnten, an uns gewandt haben.«
    Marielle hatte sich die Frau irgendwie anders vorgestellt. Alpiner. Eine Frau, die selbst in die Berge ging, die eine Verbindung zum Gebirge hatte. Aber so wirkte sie nicht.
    Diese Frau Gehrig-Mannhardt hatte in ihrer Ausstrahlung etwas ganz und gar Unsportliches. Ein Vorurteil, ganz klar, dachte Marielle. Sie konnte von der Frau ja nur die obere Hälfte wahrnehmen. Aber schon die Haltung ihrer Schultern, der leidende Ausdruck um Augen und Mund und eine gewisse Farb- und Kraftlosigkeit in ihrem Blick passten nicht zu dem Bild, das sie sich in ihrer Phantasie gemacht hatte.
    Sie leidet nicht nur wegen ihrem Bruder, dachte Marielle. Dafür ist sein Tod zu lange her. Ob sie krank ist?
    Frau Gehrig-Mannhardt sah von der Speisekarte hoch, schien sich von Marielle beobachtet zu fühlen, doch ihre Reaktion war erstaunlich. Über ihr verhärmtes Gesicht huschte ein freundliches Lächeln.
    »Mich interessiert«, fuhr Schwarzenbacher fort, »was der Auslöser dafür war, sich jetzt, nach so langer Zeit, an uns zu wenden. Gibt es neue Fakten? Neue Verdachtsmomente? Oder ist sonst etwas passiert, dass Sie genau jetzt aktiv geworden sind?« Er legte die Speisekarte zur Seite, und Frau Gehrig-Mannhardt tat es ihm gleich.
    »Ich habe am Anfang auch geglaubt«, sagte sie sehr leise, sehr langsam, dabei jedes Wort ein wenig dehnend, »dass Karl verunglückt ist. Ich habe es geglaubt, weil es logisch war. Weil es vorstellbar war … Weil alles dafür sprach, dass er einem schlimmen Unglücksfall zum Opfer gefallen ist. Aber nach ein paar Tagen haben sich Zweifel bei mir eingestellt. Ich kann nicht sagen, woher diese Zweifel kamen. Sie waren da und sind immer stärker geworden … Und dann kam der Augenblick, wo es keine Zweifel mehr waren. Da war es meine feste Überzeugung, dass mein Bruder getötet worden ist … Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, oft nachts, wenn ich nicht schlafen hab können, wer das meinem Bruder angetan haben könnte. Wer und warum … Irgendein Verrückter? Aber wer tut so was? Einfach

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